Wie ein Insekt
Literatur und Engagement (12): Lukas Bärfuss’ Roman über den Vökermord in Ruanda pflegt rassistische Afrika-Klischees
Thomas Wagner in der jungen Welt vom 19.4.08
Glaubt man den zum Teil enthusiastischen Kritiken, die der auch in Deutschland viel gespielte Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss für seinen Roman »Hundert Tage« erhalten hat, ist die Geschichte der politischen Literatur dieser Tage um einen Höhepunkt bereichert worden.
Der 1971 geborene Autor habe einen »großen, aufwühlenden Roman« (Tagesanzeiger) geschrieben, der »nicht das Fremde im Eigenen sucht, sondern im Fremden das Eigene denunziert« (Woz). In diesem »lesenswerten Unterhaltungsroman« (Zeit) habe der Autor »Wagnis, einen Genozid zu erzählen« gemeistert und zwar »mit Bravour« (taz).
Tatsächlich verfehlt Bärfuss sein komplexes Thema und schreibt zu allem Übel einen rassistischen Diskurs der Kolonialzeit fort, in dem die europäischen Herren auf der Seite der Vernunft und ihre afrikanischen Untergebenen auf der Seite irrationaler Gewalt verortet werden.
Er erzählt die Geschichte des Entwicklungshelfers David Hohl, der 1994 für eine große Schweizer Entwicklungshilfeorganisation in Kigale, der Hauptstadt von Ruanda gearbeitet hat und, zurückgekehrt in die Schweizer Berge, seine Erlebnisse einem Schulfreund erzählt. Er wurde zum Augenzeugen jener grauenhaften Ereignisse, in deren Verlauf die Bevölkerungsmehrheit der Hutu binnen weniger Wochen 800000 Tutsi mit Macheten und Knüppeln abschlachtete.
Hieran knüpft sich die simple, aber nicht ganz von der Hand zu weisende Botschaft des Romans: Ohne die Vermittlung technischer und administrativer Fertigkeiten durch die tugendhaft fleißigen Schweizer Entwicklungshelfer, wäre der Völkermord in dem bekanntgewordenen Ausmaß nicht möglich gewesen. Ohne die Unterweisung in Disziplin und formale Organisation, läßt Bärfuss seinen Ich-Erzähler reflektieren, »hätten sie keine achthunderttausend Menschen umbringen können, nicht in hundert Tagen«.
Daß Bärfuss die Frage aufwirft, inwieweit sich die Entwicklungshilfe durch ihre Regierungsnähe und einen professionellen Tunnelblick an diesen Mordtaten mitschuldig gemacht hat, ist der große Pluspunkt seines Romans. Was ihn dennoch zum literarischen Desaster macht, ist seine neokolonialistische Perspektive, die fehlbare, aber vernünftige Europäer pauschal den bestenfalls halbzivilisierten Afrikanern gegenüberstellt, die ihre guten Manieren jederzeit gegen ebenso unverständliche wie grausame Riten einzutauschen bereit sind.
Symptomatisch für die abschätzige Erzählhaltung ist die zentrale Liebesgeschichte zwischen Hohl und seiner afrikanischen Geliebten Agathe, in die Bärfuss die schlimmsten Zutaten einer Kolonialerotik hineingerührt hat: Die Frau ist eine exotische Schönheit, wild im Bett und hat ein undurchschaubar dunkles Herz, das sich letztendlich als das einer im Parteiauftrag rücksichtslos mordenden Mobführerin zu
entpuppen scheint. Doch bleibt der Entwicklungshelfer der Frau, die er schon bald als »kleine, bornierte, verschlagene, sadistische Rassistin« verachtet, sexuell hörig. »Ich ahnte, daß ihre Einstellung und der Höllenfick von letzter Nacht irgendwie zusammenhingen«.
Als er einen verletzten Bussard gesund zu pflegen versucht, manifestieren sich die grausamen Züge der Bettgespielin, die das Tier am liebsten wie ein Insekt totschlagen würde. Der Ich-Erzähler sieht daraufhin unter der Maske empfindsamer Zivilität eine archaische Mentalität der Afrikanerin aufscheinen, die sich dem Verständnis eines kultivierten Menschen zu entwinden scheint: »Da saß wieder die andere Frau, nicht die Agathe, die in Brüssel studierte, dieselbe Musik mochte wie ich und abgesehen von ihrer Hautfarbe mir ziemlich ähnlich war. Jetzt gehörte sie einer anderen Kultur an, ich sah die Nachfahrin von afrikanischen Bauern, die in einem ewigen Kampf mit der Natur stehen, unfähig, weiter als bis zur nächsten Mahlzeit, wenn es hochkommt, bis zur nächsten Ernte zu denken.« Davids erfahrener Kollege Paul beschreibt seine afrikanische Klientel noch pauschaler als heimtückische Primitive: »Ihr Interesse an der Entwicklung war eine einzige Tarnung, eine erfolgreiche Methode, um in Ruhe gelassen zu werden, damit sie in aller Heimlichkeit ihre überkommenen Sitten pflegen könnten, ihren Aberglauben, ihr Mißtrauen, ihre Clanwirtschaft, ihre ganze verdammte Negermentalität.«
Zwei Jahre lang soll Bärfuss für seinen Roman recherchiert, mit Augenzeugen des Genozids geredet haben. Die Aussagen von Afrikanern scheinen dabei keine große Rolle gespielt zu haben. Anders läßt es sich kaum erklären, daß es in dem Buch praktisch keine Stelle gibt, in der auch nur andeutungsweise durchscheinen würde, daß Bärfuss eine Distanz zu den rassistischen Klischees einnimmt, die er seine Haupt- und Nebenfiguren äußern läßt. Angesichts des Massenmords werden die Afrikaner vom Ich-Erzähler unterschiedslos zu Untermenschen deklariert, erscheinen als »wilde Tiere, die sich gegenseitig zerfleischen«.
Gepostet von
Revolutionärer Aufbau Schweiz
Sonntag, 20. April 2008
Kritik zu Lukas Bärfuss Roman aus junge Welt vom 19.4.08
aus der Fauchrundmail 19.4.2008
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