Artikel verfasst von Andreas Keller und erschienen in der Erziehung und Wissenschaft 2/2007
GEW warnt vor schrankenlosem Wettbewerbsföderalismus
Zum 30. Juni 2008 soll das Hochschulrahmengesetz (HRG) beerdigt werden. So sieht es ein Anfang 2007 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorgelegter Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes“ vor. Der Entwurf ist eine Folge der 2006 verabschiedeten Föderalismusreform,
die dem Bund die Rahmengesetzgebungskompetenz für das Hochschulwesen entzogen hat. Die Abschaffung des HRG ist jedoch keine zwingende Konsequenz der Föderalismusreform.
Die GEW hält diesen Schritt für falsch.
Zumindest Reste einer Gesetzgebungskompetenz hat der Bund nach der Föderalismusreform für die Hochschulen behalten: Gemäß Artikel 74 des Grundgesetzes (GG) kann er Hochschulzulassung und -abschlüsse durch Bundesgesetz regeln.
Doch dürfen die Länder über das neue Instrument der „Abweichungsgesetzgebung“ dieses wieder abändern bzw. brauchen ihm nicht zuzustimmen.
Nur solange ein Land davon keinen Gebrauch macht, würde die bundeseinheitliche Regelung gelten. Ansonsten droht eine Ping-Pong-Gesetzgebung (s. E&W 4/2006).
Rechtlich bedenklich
Es ist politisch riskant und verfassungsrechtlich bedenklich, wenn es künftig in 16 Ländern 16 unterschiedliche Systeme des Hochschulzugangs und der Studienabschlüsse geben sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind die Hochschulen verpflichtet, ihre Ausbildungskapazitäten erschöpfend auszulasten, bevor Studienbewerber abgewiesen werden können. Ob die Länder dies ohne eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung schaffen, ist zumindest fraglich.
Auch vor der im Rahmen des Bologna-Prozesses geplanten Annäherung der Studienstrukturen im Europäischen Hochschulraum wäre es ein Anachronismus, wenn die Bundesrepublik auf nationale Regelungen über Hochschulabschlüsse und deren gegenseitige Anerkennung in den Ländern verzichtete. Die Kleinstaaterei würde fröhliche Urstände feiern.
Föderaler Flickenteppich
Wenig überzeugend ist die Vorstellung, dass künftig die Kultusministerkonferenz (KMK) an Stelle von Bundestag und Bundesrat für einheitliche Regelungen sorgen soll. KMK-Beschlüsse bedürfen der Einstimmigkeit aller Länder:
Die „Quedlinburger Beschlüsse“ von 2005 zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in der Lehrerbildung zeigen, dass auf dieser Grundlage kein gemeinsames Konzept entstehen kann, sondern allenfalls die gegenseitige Akzeptanz eines föderalen Flickenteppichs.
Hinzu kommt: Im Vergleich zu einem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren hat die Erarbeitung entsprechender Regelungen in der KMK eine weitaus geringere Transparenz und demokratische Legitimation. Hier geben Ministerialbürokraten den Ton an, direkt gewählte Abgeordnete und Vertreter von Gewerkschaften und Verbänden bleiben außen vor.
Ein eklatanter Widerspruch zur Ankündigung, mit der Aufhebung des HRG würde „die Deregulierung des Hochschulrechts des Bundes vollzogen“, ist die Überführung des HRG-Paragrafen zur Befristung von Arbeitsverträgen in das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz (s. Seite 23). Eine nahe liegende und sachgerechte Form der Deregulierung im Interesse der Beschäftigten wäre dagegen die Aufhebung der bundesgesetzlichen Tarifsperre. Diese verbietet Arbeitgebern und Gewerkschaften, die Beschäftigungsbedingungen des Personals an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
tariflich zu regeln.
Verantwortungslos
Das HRG hat die Hochschulpolitik in der Bundesrepublik Deutschland über 30 Jahre geprägt. Bei seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1976 führte es zum Stopp demokratischer Hochschulreformen in den Ländern und wurde daher von der Bildungsgewerkschaft kritisiert.
Heute wird es indes von jenen politischen Kräften als Fessel empfunden, die den alten Verfassungsgrundsatz der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ zu Gunsten eines schrankenlosen Wettbewerbsföderalismus’ über Bord werfen möchten. Die Abschaffung des HRG ist verantwortungslos. Die GEW fordert die Bundesregierung auf, ihren
Gesetzentwurf zurückzuziehen.
Info: Am 12. November 2007 führt der Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes (Bundestagsdrucksache 16/6122, siehe Anlage) durch.. Das Gesetz, das seit dem 1. Januar 1976 gilt, soll zum 1. Oktober 2008 außer Kraft treten.
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