Sonntag, 25. Mai 2008

Die neue Polizeitaktik an der Reclaim the Streets/Bern 17.5

aus der Fauchrundmail vom 19.05.2008

Zum Widerstand vor repressiven Riesenereignissen: Ein Rückblick auf die Ereignisse vom 17. Mai mit einem Ausblick auf den Antifaschistischen Abendspaziergang und die EM

Am Samstag Abend versammelten sich rund 200-300 Leute vor der Reithalle und der davorliegenden Schützenmatte, um unter dem Motto "Tanz uf de Strass, Tanz uf de Fabrig, das isch üsi Antwort uf öii Politikk" eine Strassenparty zu feiern. Bereits im Vorfeld hat die Polizei mit einem unverhältnismässig riesigen Aufgebot beim Bahnhof, im Bollwerk und in der Lorraine Präsenz markiert und Leute kontrolliert.

Als sich die Party, zu dem Zeitpunkt bloss bestehend aus einem Minimal-Wagen, nach über einer Stunde Verspätung in Bewegung setzte, riegelte die Polizei sofort alle Strassen Richtung Stadt ab. Ein Redner machte mehrmals auf die Ereignisse vom 6. Oktober aufmerksam, nach welchem eine gewisse rechts-konservative Partei immer wieder auf mangelnde Demonstrationsfreiheit hinwies und sich als Opfer darstellte. Hier zeige sich nun aber das wahre Gesicht der Demonstrationsfreiheit - eine friedliche Strassenparty mit einigen hundert Leuten wird bereits zu Beginn gestoppt.

Frau passte sich also an die geänderte Situation an, der Minimal-Waggen soundete auf der Strasse neben der Schützenmatte vor sich hin, bald folgte ihm ein Punk-Wagen der sich mitten auf der Kreuzung breit machte und die meisten Leute anzog. Obwohl sich

verschiedene Leute auf Auseinandersetzungen mit der Polizei vorbereitet hatten und vermummt an der Party erschienen, blieb es die ganze Zeit über friedlich: Bis auf ein paar Mittelfinger flog nicht ein Gegenstand in Richtung Polizeispaliere.

Trotzdem: Nach einer Weile untätigem Zusehen griff die Polizei schliesslich in einer Überfall-ähnlichen Aktion die Strassenparty ohne der gesetzlich vorgeschriebenen Warnung an. Von allen Seiten rannte sie, wie sie es in den EM-Übungen gelernt hatte, auf die Strassenparty zu und verschoss dabei Unmengen an Gummischrot. Die flüchtenden Aktivisten zogen sich in Richtung Reithalle zurück, wo sie bis an den Rand des Vorplatzes von der Polizei verfolgt wurden.

Mit dieser Aktion war die Reclaim the Streets, die überhaupt nie richtig stattfinden konnte, definitiv beendet. Die Leute verteilten sich in der Reithalle und auf der Schützenmatte, später am Abend wurde auf dem Vorplatz noch etwas gefeiert.

Für uns radikale Linke und Widerständige in Bern stellt sich vor allem die Frage, wie Widerstand in dieser Stadt in Zukunft organisiert werden soll, wo die aktuelle Entwicklung hinführen mag und wie wir darauf reagieren sollen. Nachdem letzte Woche - mehr oder weniger unabhängig von der EM - das überarbeitete Berner Demonstrationsreglement verabschiedet wurde, dass alle Demonstrationsumzüge verbietet, ist eine Entwicklung in Richtung Repression nicht mehr von der Hand zu weisen. Wieviel davon EM-bedingt ist, wird sich abschliessend erst im Herbst zeigen. Momentan scheint es wirklich so, dass die Polizei in der Schweiz jeden einzelnen Anlass dazu benutzt, für allfällige Auseinandersetzungen in den Fanmeilen und an den Stadien zu üben. Als kleine Anmerkung bleibt zu erwähnen - liebe Staatsschützer, die ihr ja sowieso mitlest - eine Horde "gewaltbereiter" Fussballfans wird sich in einer überfüllten Fanmeile komplett anders verhalten, als ein paar friedliche Alternative auf einer ansonst leeren Strasse. Zu meinen, das sei eine gute Übung gewesen, ist ein Trugschluss.

Momentan sieht es wirklich so aus, als hätte der Staat für seine Repressionsorgane und seine "Sicherheitspolitik" so viel Legitimation, dass er mit fast kompletter Narrenfreiheit und ohne Rücksicht auf Verfassung und Grundrechte durchgreifen kann. Ob es in dieser Situation sinnvoll ist, einen Antifaschistischen Abendspaziergang durchzuführen, der sowieso schon in einer "sicherheitsgefährdenden" Tradition steht (Und damit dem Repressionsapparat umso mehr Legitimation bietet), bleibt offen und sollte diskutiert werden.

Nichtsdestotrotz: Da Resignation keine Lösung ist und auch die Begründung zum Abwarten fehlt, wird hiermit trotzdem für den 31. Mai mobilisiert. Allerdings sollte das Bewusstsein vorhanden sein, dass die Polizei den Spaziergang nach den gestrigen Ereignissen höchstwahrscheinlich schon zu Beginn aufzulösen versucht bzw. wird.

Darauf sollte sich frau vorbereiten, und insbesondere die Hinweise der AntiRep-Teams beachten.

Verschieben wir die gestern gescheiterte Reclaim the Streets auf den 31. Mai!

Nehmen wir uns die Strasse für UNSEREN Spaziergang!

Setzen wir ein Zeichen gegen den Kommerz- und Kontrollrausch des Staates und der UEFA!

Antifaschistische Solidarität statt nationalistische Konkurrenz!


Bündnis Alle gegen Rechts:

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Wir wurden von der Polizei und von Gemeinderat Hügli aufgefordert, im Zusammenhang mit dem 8. Antifaschistischen Abendspaziergang "einen Aufruf zum Gewaltverzicht" zu erlassen.

Nach den Ereignissen vom 17.5.2008 auf der Schützenmatte, wo die Polizei einmal mehr grundlos und ohne Vorwarnung friedliche Reclaim-the-Street-TeilnehmerInnen angriff und verletzte, kommen wir dieser Aufforderung gerne nach:

Hiermit fordert das "Bündnis Alle gegen Rechts" die Polizei und die Behörden zum Gewaltverzicht auf.

Heraus zum 8. Antifaschistischen Abendspaziergang, 31.05.2008, Heiligeistkirche, Bern.

Antifaschistische Grüsse

Bündnis Alle gegen Rechts


Autonome Gruppe Bern / RTS-Kollektiv:

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In den letzten Monaten wurde offen zu einer Reclaim the Street aufgerufen. Eine mobile Strassenparty, als Antwort auf die Kommerzialisierung dieser Stadt und die zunehmende Repression gegen alternative Bewegungen, anders Denkende und so genannte Randständige.


Am 17. Mai 2008 um 18.30 Uhr trafen sich mehrere hundert Personen auf der Schützenmatte, um sich als Reclaim the Street die Strassen zu nehmen. Da die Polizei diesen Anlass als Euro 08 Übung missbrauchte und sämtliche Strassen um die Schützenmatte abriegelte, konnte die Party nicht die geplante Route laufen. Aus diesem Grund haben wir die Route um ein paar Kilometer verkürzt und eine Platzparty auf der Kreuzung Bollwerk/Schützenmattstrasse veranstaltet. Es wurden Bar- und VoKüwagen,

sowie Elektro-, Punk- und Hip Hopwagen aufgestellt. Trotz dem unverhältnismässigen Polizeiaufgebot liessen sich die Teilnehmenden nicht provozieren und feierten munter weiter. Kurz vor 21.00 Uhr stürmte die Polizei ohne Vorwarnung und unter massivstem Gummischroteinsatz die Kreuzung und die Schützenmatte. Die Infrastruktur konnte rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Nach kurzen Auseinandersetzungen mit der

Polizei, konnte die Party auf dem Vorplatz der Reitschule bis in die frühen Morgenstunden fortgesetzt werden.

Ab dem späten Nachmittag wurden diverse Personen im Raum Bahnhof und Reitschule kontrolliert. Rund 20 Personen wurden verhaftet. Beim Angriff der Polizei wurden 2 Personen verletzt (eine davon durch Gummischrot im Augenbereich) und mussten hospitalisiert werden. Die Polizei hinderte die gerufene Ambulanz daran, eine verletzte Person abzuholen.

Dem Sicherheits- und Sauberkeitswahn der Stadt Bern wurde einmal mehr Nachdruck verliehen, in dem eine unkommerzielle Party im öffentlichen Raum brutal zerschlagen wurde.

Reclaim the Street ? Squat the World!

Autonome Gruppe Bern / RTS-Kollektiv


Mediengruppe Reitschule Bern:

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Am Samstag, 17. Mai zwischen 19.00 und 21.00 Uhr fand auf der Schützenmatte ein friedliches Platzkonzert statt, da die geplante RTS (Reclaim the Street) nicht durchgeführt werden konnte.

Aus Sicht des Kultur- und Begegnungszentrums Reitschule Bern hat die Polizei dieses Fest dazu missbraucht, die neuen Abläufe von POLICE BERN im Allgemeinen und speziell für die EURO08 zu trainieren.

Folgendes lässt darauf schliessen:

Die Vorplatz Bar der Reitschule öffnete gestern um 16.00 Uhr:

Bereits die ersten Gäste erzählten dem Barpersonal, dass sie auf dem Weg zur Reitschule von der Polizei entweder kontrolliert oder aber darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie heute Abend «eingegast» werden würden“ dies also zu einem Zeitpunkt, als noch nicht absehbar war, wie der Abend verlaufen würde.

Anlässlich der von uns gesuchten Gespräche via Kontakttelefon zwischen den Reitschule-BetreiberInnen und dem polizeilichen Einsatz-Büro wurde die Reitschule darüber informiert, dass der Grund des Einsatzes nicht die Aktionen der KundgebungsteilnehmerInnen sei, sondern dass «die Damen und Herren OrganisatorInnen» lernen müssten, dass für jede Kundgebung eine Bewilligung eingeholt werden müsse!

Aus unserer Sicht lässt sich diese Erklärung sehr gut nachvollziehen, sahen doch die ReitschülerInnen selber, dass das Platzkonzert friedlich und es zu keinen Eskalationen oder Sachbeschädigungen gekommen ist.

Der unverhältnismässige Angriff mit Gummigeschossen und Pfefferspray erfolgte nach verschiedenen AugenzeugInnenberichten ohne Vorwarnung.

Die KundgebungsteilnehmerInnen und aber auch die Gäste der Reitschule wurden dadurch gefährdet, mindestens eine Person wurde durch ein Gummigeschoss im Gesicht verletzt und musste mit der Ambulanz ins Spital gebracht werden.

Die alarmierte Sanitätspolizei erklärte den AnruferInnen, dass sie nicht sicher sei, ob die Polizei sie passieren lassen würde, sie müssten zuerst mit der Polizei reden. Tatsächlich durfte die Ambulanz die Polizeisperren nicht passieren und die verletzte Person musste zur Ambulanz gebracht werden. Zusätzlich wurden die HelferInnen von der Polizei gefilmt!

Wir finden, das ist eine «Behinderung von Hilfeleistungen», weil niemand wissen konnte, wie schwer die Verletzung und schnelle Hilfe oft entscheidend ist.

Wie immer werden viele Medienschaffende berichten wollen, dass die Reitschule ihr «grosses Tor» nicht geschlossen und damit Rückzugsmöglichkeiten angeboten habe.

Wie immer möchten wir hierzu erklären, dass die Reitschule-BetreiberInnen in der Schliessung des Tores keine seligmachende Lösung sehen. Neben der Tatsache, dass wir uns als offenes Haus verstehen, ist es wegen Massenpanik und anderen sicherheitstechnischen Überlegungen nicht möglich und auch nicht erlaubt, Fluchttüren verschlossen zu halten.

Wir sind uns bewusst, dass angesichts zukünftiger Ereignisse wie Bahnhofplatz-Eröffnung, Stadtfest, der Euro 08 und dem herbstlichen Wahlkampf in gewissen Kreisen in dieser Stadt die Nerven blank liegen.

Wir appellieren deshalb an die Vernunft aller Beteiligten und fordern die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte sowie den Respekt gegenüber der körperlichen und psychischen Integrität unserer Mitmenschen.

Mit freundlichen Grüssen

Mediengruppe der Reitschule Bern


Das Antirep-Team sucht Kontakt zu den verletzten Personen. Wir bitten die Betroffenen oder Leute, die diese Personen kennen, sich bei uns zu melden. Hinweise bitte an folgende Adresse: ea@immerda.ch

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