Die Plädoyers der Verteidiger im Verfahren gegen 25 Demonstranten, die in
Zusammenhang mit dem G8 2001 in Genua unter Anklage stehen, sind
abgeschlossen. Drei der Angeklagten ergriffen nach der letzten anwaltlichen
Rede am 7. Dezember 2007 das Wort, um persönliche Erklärungen abzugeben.
Nur zwei sind vollständig dokumentiert. Im Folgenden die Übersetzung der
Erklärungen in deutscher Sprache.
[Erklärung VV] ----
Ich möchte als Erstes eine kurze Bemerkung machen:
Als Anarchist halte ich die bürgerlichen Begriffe von schuld und Unschuld
für vollkommen bedeutungslos. Die Entscheidung, im Rahmen eines
Gerichtsverfahrens über ?kriminelle Handlungen?, die man mir und anderen
Leuten anlasten will, diskutieren zu wollen und besonders die Entscheidung,
an diesem Ort die Ideen vorzubringen, die meine Art zu sein und Dinge
wahrzunehmen kennzeichnen, könnte zum Gegenstand falscher
Einschätzungen gemacht werden. Ich muss also notgedrungen
klar stellen, dass der Geist, in dem ich ? nach dem die hier zur Debatte
stehenden Ereignisse jahrelang einer Verfremdung als Medienspektakel
unterlagen ? diese Erklärung abgebe, derjenige ist, der danach strebt,
dass auch die Stimme einiger Angeklagter sich Gehör verschaffen möge.
Mit diesem kurzen Beitrag suche ich jedenfalls weder Ausflüchte noch
Rechtfertigung. Selbst wenn das Gericht entscheiden würde, dass es
legitim ist, zu revoltieren, würde ich es absurd
finden, denn es steht ihm nicht zu.
Die Dinge, die sich ereigneten aus einer bestimmten Sicht und
in einer bestimmten Art von Sprache (die, der Gerichtsbürokratie,
damit wir uns verstehen) nachzulesen, entspricht nicht nur einer
verkürzten Betrachtung derselben, sondern auch einer Verzerrung
von deren Tragweite und ihrer historischen, politischen und sozialen
Verortung. Das bedeutet eine, aus dem Kontext, in dem sich die
Geschehnisse ereigneten, völlig heraus gelöste Verbiegung der Dinge.
Der Sprache des Strafgesetzbuches nach, impliziert der mir in diesem
Verfahren vorgeworfene Tatbestand der Verwüstung und Plünderung,
dass ?eine Pluralität von Personen sich wahllos einer beträchtlichen
Menge von Gegenständen habhaft macht, um Zerstörung zu bringen?.
Für diese Art von Straftaten werden hohe Strafmaße gefordert, und
das, obwohl es sich dabei nicht um besonders verwerfliche Aktionen
oder um niederträchtige Verbrechen handelt.
Für meine Taten habe ich immer die volle Verantwortung übernommen
und etwaige Konsequenzen habe ich immer auf mich genommen. Das trifft
auch auf meine Anwesenheit beim Mobilisierungstag gegen den
G8 am 20. Juli 2001 zu. Die Tatsache, dass ich als freier Mann an einer
kollektiven radikalen Aktion ohne jede hegemoniale Struktur über mir Teil
genommen habe, ist mir eine Ehre.
Und ich war nicht alleine, mit mir waren hunderttausende von Menschen.
Jeder hat sich mit seinen Mitteln verwendet, um sich einer heute als
neoliberal bezeichneten, auf die kapitalistische Ökonomie gestützten
Weltordnung zu widersetzen. Die berüchtigte wirtschaftliche Globalisierung,
die sich über den Hunger von Milliarden Menschen aufbaut, vergiftet den
Planeten... sie veranlasst Massen, zum Exil, um sie dann zu
deportieren und zu inhaftieren; sie erfindet Kriege, sie massakriert ganze
Bevölkerungen. Das nenne ich Verwüstung und Plünderung.
Jenes gigantische Experiment unter freiem Himmel, das in Genua stattfand,
(in den Vormonaten und in jenen Tagen, an denen jene Kirmes der Verwüster
und Plünderer auf planetarischer Ebene abgehalten wurde),
und von manchem Zurückgebliebenen trotzig weiter als ?Handhabe der Piazza? *
definiert wird, hat eine Zeitenwende markiert: nach Genua ist nichts mehr wie vorher
gewesen, nicht auf der Straße, und schon gar nicht in den Verfahren im Zuge
etwaiger Auseinandersetzungen.
Mit Urteilen dieser Art wird einem Modus Operandi Tür und Tor geöffnet, der
in ähnlich gelagerten Fällen zur Normalpraxis werden wird. Das heißt, man
wird Mitten in die Menge der Demonstranten einschlagen, um jeden, der
es wagt, an Umzügen, Märschen, Demonstrationen Teil zu nehmen
einzuschüchtern...
ich glaube, dass es nicht Fehl am Platze wäre, von Präventivmaßnahmen des
psychologischen Terrorismus zu sprechen.
Ich werde wiederum nicht über den Begriff der Gewalt diskutieren, und über die
Frage nach dem, der sie ausübt und dem, der sich vor ihr wehren muss: Nicht,
um eine zweideutige Haltung bezüglich der Wahl gewisser Mittel beim
Klassenkampf einzunehmen, sondern weil ich diesen Kontext hier in bezüglich
der Auseinandersetzung mit einer Diskussion, die der antagonistischen
Bewegung, der ich angehöre, eigen ist, für ungeeignet halte.
Zwei Sätze noch zum Verfahren gegen die Polizeikräfte
Mit dem Verfahren gegen die so genannten Ordnungskräfte versuch man
einen gewissen Sinn für Ausgewogenheit zu vermitteln. Die Staatsanwälte
haben versucht, die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei
und Demonstranten mit einem Bandenkrieg zu vergleichen: Ohne zu
viel drum herum zu reden, sage ich, dass mir nicht einmal im Traum
einfallen würde, mit der klaren Absicht, körperlich und sychisch zu
demütigen, auf feige Art und Weise gegen gefesselte, kniende,
entblößte oder sich offenkundig nicht offensiv verhaltende Menschen
zu wüten...
Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass ich mit Provokateuren,
Unterwanderern und so weiter verglichen werde, obwohl es sehr hart ist...
Aber mit einem Provokateur in Uniform verglichen zu werden, das nicht.
Eine solche Behauptung ist, gelinde gesagt, widerwärtig!
Sie ist dessen würdig, der sie ausgesprochen hat.
Außerdem bedeutet die Implementierung eines Verfahrens, nur um daran
zu erinnern, dass wir uns in einer Demokratie befinden, die Reduktion der
ganzen Sache auf eine Handvoll gewalttätiger Bekloppter auf der einen
und auf einzelne Fälle von Übereifer bei der Umsetzung des Rechts auf
er anderen Seite. Das steht nicht nur für geistige Armut, weil es die
Schwäche der Gründe offenbart, für die man sich wegwirft, um die
gegenwärtige soziale Ordnung zu wahren.
Aus meiner Sicht bedeutet die Tatsache, dass Parallel zu den Demonstranten
auch gegen die Polizei prozessiert wird, dass den Ordnungskräften eine viel zu
bedeutende Rolle in der ganzen Angelegenheit zugedacht wird. Es entzieht den
Handlungen der Menschen, die auf die Straße gegangen sind, um zum Ausdruck
zu bringen, was sie von dieser Gesellschaft halten Bedeutung und verbannt sie
alle in ihre historische Rolle als Opfer einer allmächtigen Herrschaft. Carlo
Giuliani, hat, wie viele andere Genossen von mir, sein Leben gelassen,
weil er all das mit dem Mut und der Würde zum Ausdruck gebracht hat,
die seit jeher jene kennzeichnet, die diesem Status quo nicht unterworfen
sind, und er wird nicht der letzte sein, solange die Beziehungen
zwischen den Menschen durch externe Organe reguliert sein werden,
die Vertreter einer geringen sozialen Minderheit sind.
Weil ich ein desillusionierter Mensch bin und der Demokratie die richtige
Bedeutung beimesse, entlockt mir die Vorstellung, dass einem Vertreter
der gesetzlich konstituierten Ordnung der Prozess gemacht wird, weil er
seine Pflicht getan hat, nur ein müdes Lächeln.
Der Staat macht dem Staat den Prozess, würde mancher zu Recht sagen.
Mit Sicherheit wird es Verurteilungen geben. Ich werde sie gewiss
nicht als Zeichen von Milde oder aber von Härte des Gerichtshofs
empfinden. Man wird sie in jedem Fall als ein Angriff auf all jene, die
auf irgendeine Art immer gezwungen sein werden, die eigene Existenz
aufs Spiel zu setzten, um das Existierende auf die bestmögliche Art und
Weise auf den Kopf zu stellen.
[Erklärung MC]
Ich merke an, dass ich, als Anarchistin, den Justizapparat als Widersacher
nicht anerkenne, ein Organ des Staates, dessen einzige Funktion im
essentiellen Schutz der privilegierten sozialen Klassen und im
Schutz des Privateigentums besteht.
Mit dieser, Erklärung, die vornehmlich außerhalb diesen Gebäudes
gerichtet ist, nutze ich also die Gelegenheit, mich an alle zu wenden,
die die Voraussetzungen besitzen, um meine Worte zu verstehen.
Ich möchte mich an die unteren Klassen richten, an jene, die den
entfremdenden Zustand des der Ausbeutung und Unterdrückung
durch das fortgeschrittene und moderne kapitalistische System
erleiden, das immer grausamer und ausgrenzender ist.
Des Weiteren merke ich an, dass ich bezüglich meines Verhaltens,
meiner Überzeugungen und meiner politischen Entscheidungen
nichts klar zu stellen habe, und dass ich schon gar nicht
beabsichtige, die Herren des Gerichts um Milde zu bitten.
Die exquisit politische Natur dieses Strafverfahrens zwingt zu einer
klaren Stellungnahme, besonders im Lichte der unzähligen
Versuche der Staatsanwaltschaft und der Presse, die Angeklagten
in diesem Verfahren vor der Öffentlichkeit zu diskreditieren und zu
entpolitisieren.
Subjekte, die wider Willen in das Getriebe der Maschinerie der
bürgerlichen Justiz geraten sind, die man in manchen Fällen
wie eine Horde über die Straßen von Genua herein fallender
Barbaren, hat erscheinen lassen die explizit im Sinn hatten,
zu verwüsten und zu plündern.
Nein, meine Herren, den Vorwurf der Verwüstung und Plünderung,
den sende ich postwendend an den Absender zurück, weil er
beleidigend ist, und weil er nicht Teil meines politischen-historischen
Hintergrunds ist.
Die soziale Klasse der ich angehöre ist randvoll mit von den Bonzen
zugefügten Ungerechtigkeiten, Zumutungen und Demütigungen.
Erst Recht hier, in den heiligen Hallen der demokratischen Inquisition,
in denen die soziale Ungerechtigkeit systematisch begangen wird,
lege ich Wert darauf, meine standhafte Opposition
gegen jede Form von Herrschaft, sozialer Ungleichheit
und Ausbeutung klar zu stellen und zu behaupten.
Wenn auch ich mir bewusst bin, dass man mir, als Feindin eurer
Klasse eine strenge Strafe zufügen wird, weil ich Trägerin unguter
Prinzipien bin, die in absolutem Kontrast zur festgelegten Ordnung
stehen, teile ich euch mit, dass ich persönlich, als
lohnabhängige Arbeiterin Gelegenheit hatte, die wahren Verwüster
und Plünderer kennen zu lernen.
Sie residieren in den Luxuspalästen oder in den Palästen der Macht,
sie sind die Herren, die Staatsoberhäupter, also die gesamte führende
Klasse diesen infamen Systems. Ein schmaler Prozentsatz Individuen
auf dieser Erde, der im Namen des Profits und der absoluten Macht
diesen Planeten ausrauben und Plündern.
Sie zwingen Millionen Menschen Hunger und Armut auf, sowohl im Süden der
Welt, als auch im Westen, sie beuten die Arbeiter an ihren Arbeitsstätten aus, bis
diese zu Sklaven werden, folglich sind sie die Verantwortlichen für die
weißen Tode**, die ein regelrechtes stetiges Tröpfeln darstellen.
Sie begraben all jene, die gezwungen sind, an den Rändern dieser opulenten
Gesellschaft zu leben, in den vaterländischen Kerkern.
Sie führen Kriege ? ob es sich dabei um humanitäre Einsätze oder um Eroberungskriege
macht wenig aus ? in dem sie ganze Bevölkerungen auslöschen, ganze Länder verwüsten
und deren Ressourcen plündern. Die Aufzählung könnte ins Unendliche firtgesetzt werden.
Es ist notwendig, gegen all das zu kämpfen, es ist notwendig, der kapitalistischen
Diktatur eine unermüdliche Opposition entgegenzusetzen.
Für das, was mich betrifft, ist das der Sinn der Mobilisierungen der antiimperialistischen
und antikapitalistischen Kämpfe 2001 in Genua gewesen, und das nicht gerade, weil
ich diese etwa für einen durch die Anwesenheit der Herren der Erde bestimmten,
einzigartigen politischen Moment im Leben der Ausgebeuteten hielt, um von
diesen Herren einige von ihren luxuriösen Tafeln herab gefallenen Krümel zu erbetteln;
Ich tat es im Einklang mit einem bereits beschrittenen politischen Weg, der von dem
starken Bedürfnis belebt war, ein auf Überwältigung aufbauendes soziales Modell
radikal zu transformieren. Das gleiche Motiv, das mich bis heute motiviert, mich an
Kampfsituationen zu beteiligen, die von unten hergestellt werden,
Situationen, die weniger spektakulär und für die Kameras der medialen Macht weniger
interessant, aber mit Sicherheit authentisch sind.
Durch die Wiederaneignung eines verweigerten und durch die imposante militärische
Präsenz zum Zweck der Verhinderung jedweder Form von Ablehnung unzugänglich
gemachten urbanen Raumes hat man 2001 in Genua mit großer Entschlossenheit
ein Grundprinzip neu behauptet.
Kein Urteil wird die Geschichte jener Tage umschreiben können.
Carlo wird in unseren Kämpfen alle Tage weiter leben.
[Erklärung SC - Auszüge]
Es ist ein Verfahren, das sich auf Videoaufnahmen stützt. [...] Eine
Videoaufnahme ist ein nützliches Instrument, sie genügt aber nicht, um
zur Wahrheit zu gelangen. Ich möchte an Plato erinnern: eine Gruppe von
Menschen lebt angekettet in einer Höhle; je nach dem, wie die Sonnenstrahlen
infallen, nehmen die Schatten nterschiedliche Formen an; die einzelne
Sinneswahrnehmung kann in Abwesenheit von Überlegungen über ein
Vorher, ein Während und ein Nachher nicht zur Wahrheit führen. [....]
Also ist es vernünftiger, denen, die Gegenstände beschädigen, eine größere soziale
Gefährlichkeit zuzurechnen, als denen, die Menschen Schaden zufügen. Die
Staatsanwaltschaft teilt sich in zwei Pools auf: einer für die Gewalttaten in Bolzaneto
und in der Diaz-Schule, und einer für die Auseinandersetzungen. Aber gibt es zwischen
ihnen denn keine Verbindung?
Oder will man unterstellen, dass die Gewalttaten der Ordnungskräfte eine Folge
dessen, was am Samstag geschehen ist darstellen? Aber wenn sie die Gewalt
doch schon am Freitag ausübten! [...] Sollte nicht Alles als ein großes
Ganzes untersucht werden, statt es zu einem Mischmasch zerstückelter Ereignisse und
Bilder zu machen?
Die Urteile scheinen nicht auf uns 25 Angeklagte abzuzielen. Sie muten vielmehr
an, wie eine harte Warnung, wie eine Aufforderung zum Schweigen, zur
Unterwerfung, an Alle, die in diesen Jahren gegen die Kriege und für die
Ausweitung der Grundrechte gekämpft haben. 25 treffen, um 300.000 zu erziehen
* ?Piazza?, als Ort im öffentlichen Raum für politische Auseinandersetzung und
als Schauplatz derselben. Also ?Handhabe? von politischen Demonstrationen.
Vermutlich als polizeiliche ?Lagebewältigung?
in Zusammenhang mit Protesten gemeint, wobei nicht vergessen werden
darf, dass sehr wohl auch am Protestgeschehen Beteiligte in Fragen der
?Handhabe? der Straße auf unterschiedlichsten Ebenen in Anspruch
nehmen, mimischen bzw. mitreden zu wollen und bei angemeldeten
Demonstrationen als Veranstalter auch dazu gezwungen sind.
** Als ?Weißen Tod? bezeichnet man die Todesunfälle am Arbeitsplatz.
Die Zahl der tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz ist in Italien Schwindel
erregend hoch. Die letzten Toten gab es gerade bei Thyssen-Krupp
in Turin, durch Verbrennungen 3. Grades auf 90% der Körperoberfläche.
Quelle:
http://www.supportolegale.org/?q=node/1264
Donnerstag, 20. Dezember 2007
Genua: La storia siamo noi
Aus der Fauchrundmail des 10.12.2007
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