Donnerstag, 20. Dezember 2007

Genua: La storia siamo noi

Aus der Fauchrundmail des 10.12.2007

Die Plädoyers der Verteidiger im Verfahren gegen 25 Demonstranten, die in 
Zusammenhang mit dem G8 2001 in Genua unter Anklage stehen, sind
abgeschlossen.
Drei der Angeklagten ergriffen nach der letzten anwaltlichen
Rede am 7. Dezember
2007 das Wort, um persönliche Erklärungen abzugeben.
Nur zwei sind vollständig
dokumentiert. Im Folgenden die Übersetzung der
Erklärungen in deutscher Sprache.


[Erklärung VV] ----
Ich möchte als Erstes eine kurze Bemerkung machen:
Als
Anarchist halte ich die bürgerlichen Begriffe von schuld und Unschuld
für
vollkommen bedeutungslos. Die Entscheidung, im Rahmen eines
Gerichtsverfahrens
über ?kriminelle Handlungen?, die man mir und anderen
Leuten anlasten will,
diskutieren zu wollen und besonders die Entscheidung,
an diesem Ort die Ideen
vorzubringen, die meine Art zu sein und Dinge
wahrzunehmen kennzeichnen, könnte
zum Gegenstand falscher
Einschätzungen gemacht werden. Ich muss also
notgedrungen
klar stellen, dass der Geist, in dem ich ? nach dem die hier zur
Debatte
stehenden Ereignisse jahrelang einer Verfremdung als Medienspektakel

unterlagen ? diese Erklärung abgebe, derjenige ist, der danach strebt,
dass auch
die Stimme einiger Angeklagter sich Gehör verschaffen möge.
Mit diesem kurzen Beitrag suche ich jedenfalls weder Ausflüchte noch
Rechtfertigung. Selbst wenn das Gericht entscheiden würde, dass es

legitim ist, zu revoltieren, würde ich es absurd
finden, denn es steht
ihm nicht zu.

Die Dinge, die sich ereigneten aus einer bestimmten Sicht und
in einer
bestimmten Art von Sprache (die, der Gerichtsbürokratie,
damit wir uns
verstehen) nachzulesen, entspricht nicht nur einer
verkürzten
Betrachtung derselben, sondern auch einer Verzerrung
von deren
Tragweite und ihrer historischen, politischen und sozialen
Verortung.
Das bedeutet eine, aus dem Kontext, in dem sich die
Geschehnisse
ereigneten, völlig heraus gelöste Verbiegung der Dinge.

Der Sprache des Strafgesetzbuches nach, impliziert der mir in diesem
Verfahren vorgeworfene Tatbestand der Verwüstung und Plünderung,
dass
?eine Pluralität von Personen sich wahllos einer beträchtlichen
Menge
von Gegenständen habhaft macht, um Zerstörung zu bringen?.
Für diese
Art von Straftaten werden hohe Strafmaße gefordert, und
das, obwohl es
sich dabei nicht um besonders verwerfliche Aktionen
oder um
niederträchtige Verbrechen handelt.

Für meine Taten habe ich immer die volle Verantwortung übernommen
und
etwaige Konsequenzen habe ich immer auf mich genommen. Das trifft
auch
auf meine Anwesenheit beim Mobilisierungstag gegen den
G8 am 20. Juli
2001 zu. Die Tatsache, dass ich als freier Mann an einer
kollektiven
radikalen Aktion ohne jede hegemoniale Struktur über mir Teil
genommen
habe, ist mir eine Ehre.

Und ich war nicht alleine, mit mir waren hunderttausende von Menschen.
Jeder hat sich mit seinen Mitteln verwendet, um sich einer heute als

neoliberal bezeichneten, auf die kapitalistische Ökonomie gestützten

Weltordnung zu widersetzen. Die berüchtigte wirtschaftliche
Globalisierung,
die sich über den Hunger von Milliarden Menschen
aufbaut, vergiftet den
Planeten... sie veranlasst Massen, zum Exil, um
sie dann zu
deportieren und zu inhaftieren; sie erfindet Kriege, sie
massakriert ganze
Bevölkerungen. Das nenne ich Verwüstung und
Plünderung.

Jenes gigantische Experiment unter freiem Himmel, das in Genua stattfand,
(in den Vormonaten und in jenen Tagen, an denen jene Kirmes
der Verwüster
und Plünderer auf planetarischer Ebene abgehalten
wurde),
und von manchem Zurückgebliebenen trotzig weiter als ?Handhabe
der Piazza? *
definiert wird, hat eine Zeitenwende markiert: nach
Genua ist nichts mehr wie vorher
gewesen, nicht auf der Straße, und
schon gar nicht in den Verfahren im Zuge
etwaiger Auseinandersetzungen.


Mit Urteilen dieser Art wird einem Modus Operandi Tür und Tor geöffnet, der
in ähnlich gelagerten Fällen zur Normalpraxis werden
wird. Das heißt, man
wird Mitten in die Menge der Demonstranten
einschlagen, um jeden, der
es wagt, an Umzügen, Märschen,
Demonstrationen Teil zu nehmen
einzuschüchtern...
ich glaube, dass es
nicht Fehl am Platze wäre, von Präventivmaßnahmen des
psychologischen
Terrorismus zu sprechen.

Ich werde wiederum nicht über den Begriff der Gewalt diskutieren, und über die
Frage nach dem, der sie ausübt und dem, der sich vor ihr
wehren muss: Nicht,
um eine zweideutige Haltung bezüglich der Wahl
gewisser Mittel beim
Klassenkampf einzunehmen, sondern weil ich diesen
Kontext hier in bezüglich
der Auseinandersetzung mit einer Diskussion,
die der antagonistischen
Bewegung, der ich angehöre, eigen ist, für
ungeeignet halte.


Zwei Sätze noch zum Verfahren gegen die Polizeikräfte

Mit dem Verfahren gegen die so genannten Ordnungskräfte versuch man
einen gewissen Sinn für Ausgewogenheit zu vermitteln. Die Staatsanwälte
haben versucht, die gewalttätigen Auseinandersetzungen
zwischen Polizei
und Demonstranten mit einem Bandenkrieg zu
vergleichen: Ohne zu
viel drum herum zu reden, sage ich, dass mir
nicht einmal im Traum
einfallen würde, mit der klaren Absicht,
körperlich und sychisch zu
demütigen, auf feige Art und Weise gegen
gefesselte, kniende,
entblößte oder sich offenkundig nicht offensiv
verhaltende Menschen
zu wüten...


Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass ich mit Provokateuren,
Unterwanderern und so weiter verglichen werde, obwohl es sehr hart
ist...
Aber mit einem Provokateur in Uniform verglichen zu werden, das
nicht.
Eine solche Behauptung ist, gelinde gesagt, widerwärtig!



Sie ist dessen würdig, der sie ausgesprochen hat.

Außerdem bedeutet die Implementierung eines Verfahrens, nur um daran
zu erinnern, dass wir uns in einer Demokratie befinden, die Reduktion der
ganzen Sache auf eine Handvoll gewalttätiger Bekloppter auf der
einen
und auf einzelne Fälle von Übereifer bei der Umsetzung des
Rechts auf
er anderen Seite. Das steht nicht nur für geistige Armut,
weil es die
Schwäche der Gründe offenbart, für die man sich wegwirft,
um die
gegenwärtige soziale Ordnung zu wahren.


Aus meiner Sicht bedeutet die Tatsache, dass Parallel zu den Demonstranten
auch gegen die Polizei prozessiert wird, dass den
Ordnungskräften eine viel zu
bedeutende Rolle in der ganzen
Angelegenheit zugedacht wird. Es entzieht den
Handlungen der Menschen,
die auf die Straße gegangen sind, um zum Ausdruck
zu bringen, was sie
von dieser Gesellschaft halten Bedeutung und verbannt sie
alle in ihre
historische Rolle als Opfer einer allmächtigen Herrschaft. Carlo
Giuliani, hat, wie viele andere Genossen von mir, sein Leben gelassen,
weil er all das mit dem Mut und der Würde zum Ausdruck gebracht hat,
die seit jeher jene kennzeichnet, die diesem Status quo nicht
unterworfen
sind, und er wird nicht der letzte sein, solange die
Beziehungen
zwischen den Menschen durch externe Organe reguliert sein
werden,
die Vertreter einer geringen sozialen Minderheit sind.


Weil ich ein desillusionierter Mensch bin und der Demokratie die richtige
Bedeutung beimesse, entlockt mir die Vorstellung, dass einem
Vertreter
der gesetzlich konstituierten Ordnung der Prozess gemacht
wird, weil er
seine Pflicht getan hat, nur ein müdes Lächeln.
Der
Staat macht dem Staat den Prozess, würde mancher zu Recht sagen.

Mit Sicherheit wird es Verurteilungen geben. Ich werde sie gewiss
nicht als Zeichen von Milde oder aber von Härte des Gerichtshofs
empfinden. Man wird sie in jedem Fall als ein Angriff auf all jene,
die
auf irgendeine Art immer gezwungen sein werden, die eigene
Existenz
aufs Spiel zu setzten, um das Existierende auf die
bestmögliche Art und
Weise auf den Kopf zu stellen.



[Erklärung MC]

Ich merke an, dass ich, als Anarchistin, den Justizapparat als Widersacher
nicht anerkenne, ein Organ des Staates, dessen einzige
Funktion im
essentiellen Schutz der privilegierten sozialen Klassen
und im
Schutz des Privateigentums besteht.


Mit dieser, Erklärung, die vornehmlich außerhalb diesen Gebäudes
gerichtet ist, nutze ich also die Gelegenheit, mich an alle zu wenden,

die die Voraussetzungen besitzen, um meine Worte zu verstehen.
Ich
möchte mich an die unteren Klassen richten, an jene, die den
entfremdenden Zustand des der Ausbeutung und Unterdrückung
durch das
fortgeschrittene und moderne kapitalistische System
erleiden, das
immer grausamer und ausgrenzender ist.

Des Weiteren merke ich an, dass ich bezüglich meines Verhaltens,
meiner Überzeugungen und meiner politischen Entscheidungen
nichts klar
zu stellen habe, und dass ich schon gar nicht
beabsichtige, die Herren
des Gerichts um Milde zu bitten.

Die exquisit politische Natur dieses Strafverfahrens zwingt zu einer
klaren Stellungnahme, besonders im Lichte der unzähligen
Versuche der
Staatsanwaltschaft und der Presse, die Angeklagten
in diesem Verfahren
vor der Öffentlichkeit zu diskreditieren und zu
entpolitisieren.


Subjekte, die wider Willen in das Getriebe der Maschinerie der
bürgerlichen Justiz geraten sind, die man in manchen Fällen
wie eine
Horde über die Straßen von Genua herein fallender
Barbaren, hat
erscheinen lassen die explizit im Sinn hatten,
zu verwüsten und zu
plündern.

Nein, meine Herren, den Vorwurf der Verwüstung und Plünderung,
den
sende ich postwendend an den Absender zurück, weil er
beleidigend ist,
und weil er nicht Teil meines politischen-historischen
Hintergrunds ist.


Die soziale Klasse der ich angehöre ist randvoll mit von den Bonzen
zugefügten Ungerechtigkeiten, Zumutungen und Demütigungen.
Erst Recht
hier, in den heiligen Hallen der demokratischen Inquisition,
in denen
die soziale Ungerechtigkeit systematisch begangen wird,
lege ich Wert
darauf, meine standhafte Opposition
gegen jede Form von Herrschaft,
sozialer Ungleichheit
und Ausbeutung klar zu stellen und zu behaupten.


Wenn auch ich mir bewusst bin, dass man mir, als Feindin eurer
Klasse
eine strenge Strafe zufügen wird, weil ich Trägerin unguter
Prinzipien
bin, die in absolutem Kontrast zur festgelegten Ordnung
stehen, teile
ich euch mit, dass ich persönlich, als
lohnabhängige Arbeiterin
Gelegenheit hatte, die wahren Verwüster
und Plünderer kennen zu lernen.


Sie residieren in den Luxuspalästen oder in den Palästen der Macht,
sie sind die Herren, die Staatsoberhäupter, also die gesamte führende
Klasse diesen infamen Systems. Ein schmaler Prozentsatz Individuen
auf
dieser Erde, der im Namen des Profits und der absoluten Macht
diesen
Planeten ausrauben und Plündern.

Sie zwingen Millionen Menschen Hunger und Armut auf, sowohl im Süden der
Welt, als auch im Westen, sie beuten die Arbeiter an ihren
Arbeitsstätten aus, bis
diese zu Sklaven werden, folglich sind sie die
Verantwortlichen für die
weißen Tode**, die ein regelrechtes stetiges
Tröpfeln darstellen.

Sie begraben all jene, die gezwungen sind, an den Rändern dieser opulenten
Gesellschaft zu leben, in den vaterländischen Kerkern.


Sie führen Kriege ? ob es sich dabei um humanitäre Einsätze oder um Eroberungskriege
macht wenig aus ? in dem sie ganze Bevölkerungen
auslöschen, ganze Länder verwüsten
und deren Ressourcen plündern. Die
Aufzählung könnte ins Unendliche firtgesetzt werden.


Es ist notwendig, gegen all das zu kämpfen, es ist notwendig, der kapitalistischen
Diktatur eine unermüdliche Opposition entgegenzusetzen.


Für das, was mich betrifft, ist das der Sinn der Mobilisierungen der antiimperialistischen
und antikapitalistischen Kämpfe 2001 in Genua
gewesen, und das nicht gerade, weil
ich diese etwa für einen durch die
Anwesenheit der Herren der Erde bestimmten,
einzigartigen politischen
Moment im Leben der Ausgebeuteten hielt, um von
diesen Herren einige
von ihren luxuriösen Tafeln herab gefallenen Krümel zu erbetteln;
Ich
tat es im Einklang mit einem bereits beschrittenen politischen Weg, der von dem
starken Bedürfnis belebt war, ein auf Überwältigung
aufbauendes soziales Modell
radikal zu transformieren. Das gleiche
Motiv, das mich bis heute motiviert, mich an
Kampfsituationen zu
beteiligen, die von unten hergestellt werden,
Situationen, die weniger
spektakulär und für die Kameras der medialen Macht weniger
interessant, aber mit Sicherheit authentisch sind.


Durch die Wiederaneignung eines verweigerten und durch die imposante militärische
Präsenz zum Zweck der Verhinderung jedweder Form von
Ablehnung unzugänglich
gemachten urbanen Raumes hat man 2001 in Genua
mit großer Entschlossenheit
ein Grundprinzip neu behauptet.



Kein Urteil wird die Geschichte jener Tage umschreiben können.
Carlo
wird in unseren Kämpfen alle Tage weiter leben.


[Erklärung SC - Auszüge]

Es ist ein Verfahren, das sich auf Videoaufnahmen stützt. [...] Eine
Videoaufnahme ist ein nützliches Instrument, sie genügt aber nicht, um

zur Wahrheit zu gelangen. Ich möchte an Plato erinnern: eine Gruppe
von
Menschen lebt angekettet in einer Höhle; je nach dem, wie die
Sonnenstrahlen
infallen, nehmen die Schatten nterschiedliche Formen
an; die einzelne
Sinneswahrnehmung kann in Abwesenheit von
Überlegungen über ein
Vorher, ein Während und ein Nachher nicht zur
Wahrheit führen. [....]

Also ist es vernünftiger, denen, die Gegenstände beschädigen, eine größere soziale
Gefährlichkeit zuzurechnen, als denen, die Menschen
Schaden zufügen. Die
Staatsanwaltschaft teilt sich in zwei Pools auf:
einer für die Gewalttaten in Bolzaneto
und in der Diaz-Schule, und
einer für die Auseinandersetzungen. Aber gibt es zwischen
ihnen denn
keine Verbindung?

Oder will man unterstellen, dass die Gewalttaten der Ordnungskräfte eine Folge
dessen, was am Samstag geschehen ist darstellen? Aber wenn
sie die Gewalt
doch schon am Freitag ausübten! [...] Sollte nicht
Alles als ein großes
Ganzes untersucht werden, statt es zu einem
Mischmasch zerstückelter Ereignisse und
Bilder zu machen?


Die Urteile scheinen nicht auf uns 25 Angeklagte abzuzielen. Sie muten vielmehr
an, wie eine harte Warnung, wie eine Aufforderung zum
Schweigen, zur
Unterwerfung, an Alle, die in diesen Jahren gegen die
Kriege und für die
Ausweitung der Grundrechte gekämpft haben. 25
treffen, um 300.000 zu erziehen

* ?Piazza?, als Ort im öffentlichen Raum für politische Auseinandersetzung und
als Schauplatz derselben. Also ?Handhabe? von
politischen Demonstrationen.
Vermutlich als polizeiliche
?Lagebewältigung?
in Zusammenhang mit Protesten gemeint, wobei nicht
vergessen werden
darf, dass sehr wohl auch am Protestgeschehen
Beteiligte in Fragen der
?Handhabe? der Straße auf unterschiedlichsten
Ebenen in Anspruch
nehmen, mimischen bzw. mitreden zu wollen und bei
angemeldeten
Demonstrationen als Veranstalter auch dazu gezwungen sind.


** Als ?Weißen Tod? bezeichnet man die Todesunfälle am Arbeitsplatz.
Die Zahl der tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz ist in Italien
Schwindel
erregend hoch. Die letzten Toten gab es gerade bei
Thyssen-Krupp
in Turin, durch Verbrennungen 3. Grades auf 90% der
Körperoberfläche.

Quelle:
http://www.supportolegale.org/?q=node/1264


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