Horst Helas (Stand: 21. bis 24.7.2005)
Seit den Landtagswahlen im vergangenen Jahr, als die NPD mit 12 Abgeordneten den Einzug in den Sächsischen Landtag schaffte und die DVU in Brandenburg ihre Position im Landtag mit 6 statt bisher 5 Abgeordneten behaupten konnte, hält die Suche nach den Ursachen für diese unbestreitbaren Erfolge an. Soziales spielt bei der Analyse, bei den Erklärungsversuchen und beim Überlegen, welche wirksamen Gegenstrategien entwickelt werden können, eine zentrale Rolle.
Die wichtigsten sozialen Forderungen der Rechtsextremisten waren lange vor dem Wahlkampf in diesen beiden Bundesländern bekannt.
In Reden und mit Wahlplakaten, auf Internetseiten und in Flugblättern wurden sie verbreitet:
- Arbeit zuerst für Deutsche!
- Aufträge nur für deutsche Firmen!
- Rückbesinnung auf unsere nationale Wirtschaft, kein Ausverkauf durch die EU und internationale Konzerne!
- Ausländer raus aus Deutschland, ausländische Billigkonkurrenz nicht rein in unser Land,
- Ausländer nehmen den Deutschen ihre Arbeitsplätze weg. Und so weiter.
Der Historiker Kurt Pätzold, der sich umfassend mit den geschichtlichen Hintergründen und den aktuellen Erscheinungen des Umgangs von Rechtsextremisten mit der sozialen Frage beschäftigt, schrieb in der „Jungen Welt“ unter der Überschrift „Die soziale Demagogie der Rechtsextremen“ :
Die soziale Demagogie, die - soweit ist die NSDAP-Spitze nicht gegangen, bis zur Losung: „Gegen Kriegseinsätze – für Arbeitsplätze“ reicht, ist eine Einstiegsdroge. Mit ihr werden die beiden anderen verabreicht, die - wie einst - im Angebot sind: die Opiate der nationalen und der Rassendemagogie.
(...)
Der Erfolg der sozialen Demagogie wird begünstigt durch die permanente Gesundbeterei, die längst als leer erfahrenen Versprechen und das Lügen (denn es handelt sich nicht nur um Irrtümer) der Regierenden. Diese Praxis erstreckt sich nicht nur aufs soziale Feld, sondern bevorzugt auch das demographische. Die Wirkung dieser Agitation sollte in den „neuen Bundesländern“ angesichts der Abwanderung junger Arbeitssuchender, des Schrumpfens der Zahl der Einwohner in Dörfern und Städten mit allen ihren spür- und sichtbaren Erfolgen und des Alterns der Bleibenden nicht unterschätzt werden.
Dieser Sichtweise kann grundsätzlich zugestimmt werden. Die Forderung nach einer angeblich zwingend notwendigen Rückbesinnung auf die so genannte deutsche Nationalität wird von den Rechtsextremisten verbunden mit anhaltender, ja zunehmender Ausländerfeindlichkeit. Das betrifft auch die Bereiche Wirtschaft und Soziales.
Zur „Einstiegsdroge soziale Demagogie“ möchte ich allerdings einen Einwand geltend machen. Es geht den Rechtsextremisten nicht nur um Demagogie und sie sind auch nicht nur Demagogen. Sie greifen reale soziale Sorgen, Ängste und Nöte der Menschen, vor allem der im Osten lebenden, auf. Ihre sozialen Forderungen sind teilweise denen der so genannten demokratischen Parteien ähnlich, auch aus Papieren der Linken wird einfach abgeschrieben. Mit ihrer Forderung: Hartz IV muss weg! befinden sie sich auf den ersten Blick in voller Übereinstimmung mit allen anderen Kritikern am neoliberalen Kurs in Deutschland. Rechtsextremisten geben vor, und hier beginnt die Demagogie, eine radikale, scheinbar einfache Antwort zu haben, wie man die soziale Lage von Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Armutsrentnern rasch und anhaltend ändern könnte.
In der Praxis der Parlamentsarbeit sieht das dann so aus, wie die Landtags-Abgeordnete Kerstin Köditz (PDS) schildert :
Zu Beginn jeder Plenarsitzung bringt die NPD häufig Dringlichkeitsanträge ein, die laut Geschäftsordnung des hohen Hauses vor Eintritt in die Tagesordnung vorrangig behandelt werden müssen. Viele solcher Anträge betreffen wichtige soziale oder wirtschaftliche Einzelprobleme. Da geht es um die Umverteilung von Geldern von der Unterstützung antirassistischer Projekte weg hin zur Erhöhung der sozialen Leistungen für Arme. Oder es wird vorgeschlagen, einen konkreten mittelständischen Betrieb durch eine Bürgschaft vor der Insolvenz zu retten, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das kommt an, das ist populär.
Mit dem Einbringen solcher Dringlichkeitsanträge hat die NPD ihr wichtigstes Ziel erreicht: Auch diese Landtagssitzung wird wieder von einem NPD-Abgeordneten eröffnet und die „kleinen Leute“ können sehen, daß diese Parteischeinbar ihre Interessen besonders gut vertritt. Das war es dann meist schon. Nach solchen Auftritten gerät die Sachfrage bei der NPD bald in den Hintergrund, wird nicht weiter verfolgt. Hier muss (und wird) von Links nachgehakt, im Unterschied zu den NPD-Abgeordneten wird wirklich dauerhafte Interessenvertretung demonstriert. Verlieren die NPD-Leute rasch die Lust an mühseliger Sacharbeit, muss das beim Namen genannt werden. Auch auf diese Weise kann man die Rechtsextremisten vorführen, die nicht wirklich an der Lösung sozialer Fragen interessiert sind.
Zur Illustrierung der Argumentationsmuster der Rechtsextremisten auf sozialem Gebiet drei aktuelle Beispiele:
1. In einem Wahlflugblatt der NPD, das man dieser Tage in Berlin-Marzahn im Briefkasten finden konnte, heißt es: Das liberalkapitalistische System der BRD legt immer offener einen ausbeuterischen „Manchester-Kapitalismus“ an den Tag. Der Weg zur „Zweidrittel-Gesellschaft“ schreitet fort – Millionen Deutsche verarmen und verelenden. Dies muß nicht sein. Es wird sich dann ändern, wenn in unserem Land wieder wirkliche Volksvertreter Politik gestalten, deutsches Geld für deutsche Aufgaben verwendet und die Globalisierung beendet wird. Wir brauchen keine billigen Arbeitskräfte und billige Waren aus dem Ausland, sondern Arbeitsplätze für Deutschland im Inland. Wir Nationaldemokraten haben nicht nur die besseren Argumente, sondern auch ein Programm, welches uns allen wieder Hoffnung auf eine bessere und sozial gerechtere Zukunft gibt.
2. Die „Schulausgabe der Mitteldeutschen Jugend-Zeitung“, die bundesweit auf Schulhöfen verteilt wird, macht ihren Lesern (Schülern ab 10,11 Jahren) Mut, sich mit Lehrern anzulegen, die immer wieder die Geschichte der Nazi-Zeit angeblich falsch bewerten. Ein anderer Artikel ist Rassismus pur: Ein afrikanischer Elefant wird nicht dadurch zu einem deutschen Elefanten, weil er in unserem Land in einem Zoo zu bewundern ist. Unter der Überschrift „Schule-Lehre...Umzug in den Westen?“ wird ein ernstzunehmendes soziales Problem junger Menschen aufgegriffen. Wären alle arbeitsfähigen Menschen hier in Mitteldeutschland geblieben, hätten wir hier Arbeitslosenzahlen, die die heutigen locker in den Schatten stellen würden. Und zu allem Überfluß will man noch mehrere Millionen Ausländer in unser Land holen, die den Arbeitsmarkt noch zusätzlich belasten. (...) Was wir hier brauchen, sind Unternehmen, die sich in unserer Region ansiedeln und Arbeitsplätze schaffen. Die Rahmenbedingungen dafür hat der Staat zu schaffen. Das heißt, der Staat muß vor allem mittelständige Unternehmen unterstützen, die nun einmal die meisten Arbeitsplätze schaffen und nicht nur Prestigeunternehmen (...) Und dann kommt noch ein anderes, seit langem zentrales Element rechtsextremistischer Propaganda hinzu, das andere politische Gruppierungen zu Unrecht vernachlässigen; in dem Artikel heißt es abschließend: Es muß in der Politik endlich ein Umdenken erfolgen, um unsere Heimat nicht gänzlich veröden zu lassen. Denn was bis jetzt immer übersehen wurde, ist die Tatsache, dass viele Menschen noch etwas in sich tragen, was wir bei den Berliner Politikern seit Jahren vermissen: nämlich Heimatverbundenheit.“
3. Im Internet war ein Aufruf einer „Bürgerinitiative für ein besseres Deutschland“ zu lesen. Im Text wird zunächst beklagt, dass die “Populisten“ Gysi und Lafontaine den Rechtsextremisten Wähler wegnehmen wollen. Abschließend wird dann überraschend die NPD kritisiert: Es ergeht ... der Aufruf an die NPD und alle nationalen Kräfte, endlich die soziale Frage wirkungsvoll zu thematisieren und im öffentlichen Raum anzusprechen – und zwar auf der Straße und nicht im Hinterzimmer. Und auch nicht durch substanzloses und in letzter Konsequenz kontraproduktives „Unterwanderungsgerede“, sondern durch überzeugende Sozialagitation von nationaler Seite. Die soziale Frage ist in Verbindung mit der Ausländerfrage in ihrer gesellschaftspolitischen Brisanz nicht zu überbieten. Die NPD-Landtagsfraktion in Dresden ist angehalten, endlich die Frage der Ausländerkosten auf die parlamentarische Tagesordnung zu setzen! ... Wenn es uns gelingt, die nationale Frage mit den sozialen Problemen der breiten Masse zu verbinden, dann kann uns nichts mehr aufhalten.“
Wir wissen also, was von Rechts längerfristig auf uns zukommt: Die soziale Frage in Verbindung mit der Ausländerfrage stärker zu propagieren – auf dieses Herangehen Rechtsextremer haben wir uns wohl vorrangig einzustellen. Gegenstrategien für die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in der sozialen Frage sollten sich nicht nur auf die Bekämpfung von Demagogie beschränken, sondern die prinzipiellen Unterschiede, etwa von Kapitalismuskritik und Sozialkonzepten, zwischen linken Vorschlägen und den Positionen der Rechtsextremisten herausarbeiten. Außerdem gilt es, in den Vordergrund zu stellen, wie differenziert die soziale Lage in Deutschland, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, Armut vieler Menschen zunimmt, tatsächlich ist. Auch damit können die Pauschalisierungen von Rechtsextremisten, dass es ihnen mit ihren Forderungen unterschiedslos um „die Deutschen“ ginge, den Konzernmanager wie den Arbeitslosen gleichermaßen, zurückgewiesen werden.
Ich halte folgende 5 Themenfelder in der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen sozialen Forderungen und Konzepten für wichtig.
1. Die gegebenen Realitäten des bestehenden globalen Welt-Wirtschaftssystems gilt es als objektiven Handlungsrahmen anzusehen, ohne ihn gutheißen oder als alternativlos ansehen zu müssen. Eine nationale Abschottung der deutschen Wirtschaft würde die bestehende soziale Situation in Deutschland beschleunigt verschlechtern.
Wenn die NPD - wie jüngst geschehen - dabei erwischt wird, dass sie entgegen ihren sonstigen Beteuerungen der Konzentration auf die nationale Wirtschaft ihre Propagandamaterialien in Polen oder der Slowakei drucken läßt, weil es dort weniger kostet, ist das marktwirtschaftlich verständlich, den NPD-Anhänger aber schwer zu erklären. Holger Apfel reagierte im Sächsischen Landtag auch höchst verärgert darüber, dass die Sache herausgekommen ist. Die kürzlich erschienene Broschüre der Gewerkschaft ver.di „Rechte Jugendkultur heute. Fuck Rassismus! Unsere Toleranz hat Grenzen“ kam gut an, eine 2. Auflage ist geplant. Neben Informationen über Ziele, aktuelle Dreß-Codes und Vorgehensweisen der Rechtsextremen wird auch ein Vorschlag unterbreitet, wie jeder einzelne an seinem Arbeitsplatz etwas Konkretes tun kann: beispielsweise eine Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung durchsetzen helfen, die sich eindeutig auch gegen rassistische Diskriminierung und für ein partnerschaftliches Miteinander im Betrieb ausspricht. Das Geburtsland des Kollegen ist dabei zweitrangig.
2. Schwarzarbeit und Lohndumping kann man am besten bekämpfen, indem die bestehenden gesetzliche Regelungen gegen internationale Konzerne durchgesetzt werden oder indem gewerkschaftliche Solidarität zwischen den Betrieben internationaler Firmen in verschiedenen Ländern geübt wird. Es ist der völlig falsche Weg, sich gegenüber ausländischen Arbeitern zu entsolidarisieren.
Der Politologe Michael Fichtner meint, bezogen auf das Baugewerbe: Man muss gegen Unterbietungskonkurrenz, nicht gegen eingewanderte Arbeitnehmer kämpfen. Schwarzarbeit hat keine Nationalität. Wenn Ausländer in Deutschland unter unwürdigen Bedingungen hausen und jeden Billiglohn annehmen, dann muss die Kritik voll auf deren Verursacher gerichtet werden. Medien, politische Parteien und gesellschaftliche Organisationen haben hier ein weites Arbeitsfeld, öffentlich Kritik zu üben.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zum Begriff„Fremdarbeiter“. Er ist fehl am Platze. Oskar Lafontaine wegen seiner Wortwahl gleich als Faschisten zu beschimpfen, wie es nun sogar junge Grüne per Flugblatt tun, ist ebenso daneben. Der Begriff „Fremdarbeiter“ wurde in der Forschung nach längerer kontroverser Debatte schon vor einigen Jahren verworfen und auch aus dem Sprachgebrauch der Politiker war er verschwunden.
Auch der ehemalige Oberleutnant der Wehrmacht, Altbundeskanzler Helmut Schmidt ist kein Faschist, weil er vor einigen Wochen - entgegen aller wirtschaftlichen Tatsachen in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre - meinte, es sei schon damals ein Fehler gewesen, die Gastarbeiter ins Land zu holen. Ohne die liebevoll als Gäste begrüßten Italiener, Portugiesen, Türken und Jugoslawen wäre Ludwig Ehrhards Wirtschaftswunder weniger wundervoll ausgefallen Im 19. Jahrhundert nannte man die – namentlich aus Polen – nach Deutschland kommenden willkommenen Hilfskräfte für die Landwirtschaft Saisonarbeiter. Das sind die Spargelstecher, Gurken- und Obstpflücker auch heute noch. Sie wurden und werden gern genommen.
Wissenschaftler wie Politiker haben viele Jahre gegen den Begriff „Fremdarbeiter“ angekämpft, der während wie nach der NS-Zeit in der Bundesrepublik in den ersten Jahren ihrer Geschichte gebräuchlich war. Dies hatte vor allem auch politische Gründe. Es gehört zu den Grundstrukturen der rechtextremistischen Diktatur der Nationalsozialisten, ihre brutale Herrschaft über jeden und alles hinter harmlos klingenden Worthülsen zu verstecken. Juden wurden – so die Diktion in Amtspapieren – nicht etwa in die Vernichtungslager deportiert, nein sie „reisten ab“ oder wurden „umgesiedelt“. Die Tatsache, daß Hunderttausende ausländische Arbeitskräfte nicht freiwillig und schon gar nicht gleichberechtigt in der deutschen Kriegswirtschaft Seite an Seite mit ihren deutschen Kollegen schufteten, wurde mit dem Begriff „Fremdarbeiter“ verharmlost, als ob halt nur Einheimische und Fremde gemeinsam an der Werkbank gestanden hätten. Die Realität sah anders aus. Sie alle – Deutsche wie Ausländer – waren Zwangsarbeiter, mit unterschiedlichem Status, aber der Zwang, an einem bestimmten ihnen verordneten Arbeitsplatz zu stehen, war das Gemeinsame. Zwang war es für alle.
Der Historiker Dietrich Eichholtz hielt folgende Aspekte für wichtig:
Die besonderen Züge, die den faschistischen Charakter des deutschen „Arbeitseinsatzes“ ausmachten, bestanden (...)
- erstens in dem unmenschlichen Zwangsregime über viele Millionen von ausländischen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, zu denen ein erheblicher Teil der arbeitenden Bevölkerung in den besetzten Gebieten gezählt werden muss;
- zweitens in der rassistischen „Ordnung“, in die die Nazis das gesamte ihnen zur Verfügung stehende Arbeitskräftepotential pressten und nach der sie die allgemeine Behandlung der Arbeiter und besonders ihre Unfreiheit abstuften:
- drittens in der unwürdigen, brandmarkenden Doppelstellung, in die die deutschen Arbeiter gebracht wurden: einerseits waren sie politisch machtlos und wehrlos, als Verkäufer ihrer Arbeitskraft unfrei, dem Kriegsrecht und dem Gestapoterror unterworfen; andererseits „Herrenmenschen“, gesetzt über „Untermenschen“ tatsächlich aber nur Obersklaven über Untersklaven, Ausbeutungs- und Terroropfer wie gleichermaßen –gehilfen;
- viertens schließlich in jener besonderen Form des Massenmords und Genozids, die die Mörder als „Vernichtung durch Arbeit“ bezeichneten.
3. Rechtsextremisten kann auch dadurch der Wind aus den Segeln genommen werden, wenn sich die Linke für die Verbesserung der sozialen Grundsituation der Mehrheit der Bevölkerung mit durchgerechneten und machbaren Vorschlägen einsetzt.
In Forderungskatalogen und Vorschlägen für alternative Sozialkonzepte von ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften wird eine Vielzahl von Angeboten unterbreitet, wie wir sie ja auch hier in Erfurt diskutieren. Einige Stichworte, die ich mir angelesen habe und die andere in anderen Veranstaltungen kompetent diskutieren werden, seien genannt:
- Beschäftigungsgesellschaften einrichten;
- Über die Verteilung der Arbeit neu nachdenken (Es ist genug Arbeit für alle da, Möglichkeiten des „anders Arbeitens und Lebens“ schaffen);
- Der Wert Arbeit – wie sieht er im 21. Jahrhundert aus? Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit statt gegenteiliger Forderungen;
- „armutsfeste“ Sozialleistungen schaffen;
- Steuererleichterungen nur für Arme und für mittelständige Betriebe;
- Umverteilung öffentlicher Gelder usw.
Rechtsextremisten kann in dieser Hinsicht vielleicht in zweierlei Richtung Paroli geboten werden:.
a) Es sollte verdeutlicht werden, dass sie ja das ganze herrschende Wirtschaftssystem prinzipiell ablehnen und mit angeblich friedlichen Mitteln auf revolutionärem Weg für einen „nationalen Sozialismus“ kämpfen wollen. Aus dieser Sicht ist es nur konsequent, wenn Rechtsextremisten die sozialen Konzepte aller anderen für falsch und deshalb gar nicht erst für diskutierenswert halten. In dieser „Logik“ ist es eigentlich auch müßig, sich täglich für die sozialen Interessen der „kleinen Leute“ einzusetzen.
b) Wegen ihrer prinzipiellen Ausländer- und Judenfeindlichkeit wird man von Rechtsextremisten immer wieder Sparvorschläge hören, die generell auf die wirtschaftliche Abschottung Deutschlands wie eine möglichst rasche Abschiebung aller hier lebenden Ausländer zielen. (In Deutschland geborene Juden oder solche, die als Eingebürgerte inzwischen einen deutschen Paß besitzen werden hier in der Regel stillschweigend eingeschlossen.) Auch hiermit richten sich die Rechtsextremisten gegen zentrale Grundwerte der bestehenden Gesellschaft, grenzen sich selbst aus. Wer Menschenrechte auf Rechte zuerst für Deutsche umorientieren will, kann kein ernsthafter Diskussionspartner sein.
4. Mehr Demokratie wagen! Durch Bürgerbeteiligung und –protest müssen die einzelnen Menschen in Deutschland lernen, die Mühen des Eintretens für ihre Interessen wahrzunehmen und sich nicht auf die Regierenden oder die Parlamente zu verlassen.
Peter-Rudolf-Zotl, PDS-Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus stellte dazu u. a. folgende Überlegungen an.
So heißt es:
Nach allen vorliegenden Untersuchungen kann man wohl einschätzen: Rechtsextremes Wahlverhalten ist im Augenblick wahrscheinlich in geringerem Maße Resultat von Demagogie und Verführungskunst rechtsextremistischer Parteien und Persönlichkeiten, sondern wohl noch vor allem Ausdruck gravierender Demokratiemängel im politischen System und seiner politischen Kultur. Zieht die offizielle Politik daraus keine Konsequenzen, kann die jetzige Motivlage durchaus in Richtung eines deutlich wachsenden rechtsextremistischen Stammwahlverhaltens kippen. Zur Umkehr in der politischen Kultur und zur Abkehr von den Rechtsextremen ist auf jeden Fall jetzt noch eine Chance, die aber ganz sicher nicht ewig anhalten wird.
Dieses verlorene politische Terrain – also die vielen Stimmen derer, die NPD und DVU aus Protest gegen die etablierte Politik gewählt haben – zurück zu erobern, geht nur, wenn vor allem die demokratische Linke sowie die vielen sozialen Bewegungen intensiv auf die Reform der politischen Entscheidungsbildung Einfluss nehmen. Eine solche Orientierung darauf, dass die Bevölkerung Partner in der politischen Debatte und im politischen Entscheidungsprozess ist, kann der rechtsradikalen Protestkultur Schritt um Schritt den Charakter einer realen Erfahrung entziehen. Natürlich sicher nicht bei den inneren Führungszirkeln und den harten Kernen, aber bei all denen, die ihnen – um eigenen Protest gegen die offizielle Entmündigungspolitik Ausdruck zu verleihen – ihre Stimme geben, denn dann hätten sie andere Möglichkeiten, sich zu artikulieren und realen Einfluss auf politische Entscheidungen auszuüben. Das setzt aber voraus, dass die Linke ihre eigenen Defizite – sowohl hinsichtlich der Analyse und öffentlichen Debatte über die grundlegend veränderte Realität als auch hinsichtlich des strategischen Wertes von Demokratisierung und Vergesellschaftung politischer Entscheidungsprozesse – konsequent überwindet.
5. Ein altes, schon lange „beackertes“ Arbeitsfeld bleibt auch künftig aktuell, die Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Verfälschungen der Geschichte der NS-Zeit. Das gilt namentlich auch für die Sozialpolitik der Nazis.
Das Jubiläumsjahr 2005, scheint bereits am 9. Mai zu Ende gegangen zu sein. Die ungeliebte Erinnerung an den Tag der Befreiung vom Faschismus und den Sieg der Alliierten über die Deutsche Wehrmacht ist vorbei, es herrscht Funkstille. Es gibt kaum noch Sonntagsreden, geäußerte wirklich oder vermeintliche Schamgefühle oder geheuchelte Betroffenheit wegen der einmaligen Verbrechen des Hitler-Regimes. Nun kann wieder zur Tagesordnung übergegangen werden und Rechtsextremisten können eigentlich abwarten und zugucken, wohin die Reise eines massiven Geschichtsrevisionismus noch rechts gehen soll.
Soziales spielte beim Gedenken 60 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges immer mit eine Rolle.
Neben vielen anderem konnte man folgendes beobachten: Im Jubiläumsjahr 2005 war eine Überbetonung der Opfer der letzten Kriegsmonate zu erkennen, insbesondere, weil in diesen Monaten, als der Krieg an seinen Ausgangsort zurückkehrte, die Zahl der deutschen Opfer besonders hoch war. Die wichtigsten Stichworte die dabei in den Vordergrund geschoben werden lauten: Alliierter Bombenterror über deutschen Städten und die Vertreibung im Osten – und dies nicht etwa im Rahmen der deutschen Politik der „verbrannten Erde“ beim erzwungenen Rückzug, sondern als alleinig unmenschliches Vorgehen der Sowjetarmee, unterstützt von den Polen. Damit wurde zweierlei versucht: Die Ereignisse des Jahres 1945 wurden ohne ihre Vorgeschichte seit 1933 betrachtet und es wurde eine Aufrechnung der verschiedenen Opfergruppen und –zahlen vorgenommen, wodurch die Verbrechen der Nationalsozialisten an den europäischen Juden, an den Sinti und Roma, an vielen Bürgern der von der Wehrmacht überfallenen Länder - gewollt oder ungewollt - herabgestuft wurden.
Noch ein anderer Aspekt soll hier erwähnt, aber nicht diskutiert werden. In der Historikerzunft und unter Publizisten ist das Buch von Götz Aly „“Hitlers Volksstaat“ heftig umstritten. Im Klappentext zu dem Buch findet sich die generalisierende Aussage: Hitler erkaufte sich die Zustimmung der Deutschen mit opulenten Versorgungsleistungen, verschonte sie von direkten Kriegssteuern, entschädigte Bombenopfer mit dem Hausrat ermordeter Juden, verwandelte Soldaten in „bewaffnete Butterfahrer“ und ließ den Krieg weitgehend von den Völkern Europas bezahlen.
Was mich an der Grundtendenz dieses Buche stört, es wird wieder pauschalisiert – hier das einhellig sozial korrumpierte Tätervolk: Bei anderen Autoren gelten die Deutschen als die größten Opfer des Hitlerregimes oder als ein Volk von willigen Vollstreckern der verbrecherischen Politik der Nationalsozialisten. Sieht man einmal davon ab, dass erhebliche Abstufungen des Anteils an den sozialen Früchten der NS-Politik zwischen einem NSDAP-Funktionär oder einer Kriegerwitwe bestehen, kommt vor allem eines zu kurz: Die herrschenden Verantwortlichen geraten in den Hintergrund. Diese rechtsextremistische Diktatur, die von Aly auch „Gefälligkeitsdiktatur“ genannt wird, hatte ein sehr angestuftes, differenziertes System der Gefälligkeiten.
Das primitive Gerede, dass Hitler ja die Autobahnen gebaut habe, ist heute selten zu hören, auch von Rechtsextremisten. Aber immer wieder verraten sie sich selbst. Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt vertrat in einem Interview die Auffassung, Hitler sei eine bedeutende historische Persönlichkeit. Diese Meinung ist in Deutschland eigentlich potentiell ein Straftatbestand, ein so genanntes „Propagandadelikt“. Bis heute ist Voigt nicht zur Verantwortung gezogen worden, das Verfahren wurde eingestellt.
Bestehende Rechtsvorschriften in Deutschland und ihre Anwendung oder Auslegung, einschließlich des Rechtsmittels des zivilen Ungehorsams, all das ist schon ein anderes Thema.
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