Das wahrscheinlich längste Flugblatt der Welt!
Auf kein anderes Wirtschaftsfeld lässt sich der Begriff "Globalisierung" so treffend anwenden, wie auf den Verkauf menschlicher Arbeitskraft. Weltweit sind Millionen Menschen unterwegs auf der Suche nach besseren oder zumindest weniger schlechten Arbeitsbedingungen.
Viele Gruppen, Initiativen und Netzwerke sehen in dieser Suche ein Recht und treten für globale Bewegungsfreiheit ein.
Attac hat ein Flugblatt zu den Zusammenhang von Weltwirtschaft und Migration veröffentlicht. Das ist ganz schön lang.
Wir hoffen, es findet trotzdem LeserInnen
Weltwirtschaft und Migration
Menschen entscheiden sich aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Heimatländer zu verlassen. Viele Menschen sehen sich aus wirtschaftlichen, politischen oder ökologischen Gründen gezwungen zu migrieren. Andere sind neugierig und wollen die Welt entdecken, oder sie haben andere persönliche Beweggründe.
„Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“, sagen viele MigrantInnen. Sie machen deutlich, dass es die durch Industriestaaten dominierte Weltwirtschaft ist, welche die instabile und kritische Situation vieler Länder bedingt. Viele Menschen dieser LEin anderes Exportprodukt Bangladeschs sind Krabben. Bangladesch ist der fünftgrößte Erzeuger der Welt. Bis heute wurden etwa 190 000 Hektar Mangroven und fruchtbares Land in Wasseranbaubecken umgewandelt. Fast die gesamte Produktion wird in die Länder des Nordens exportiert. Die Becken werden sowohl von der Weltbank als auch von der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Die Krabbenzucht hat dazu geführt, dass viele KleinbäuerInnen ihr Land verloren haben. Einige wurden vertrieben, andere mussten gehen, da das Land durch das Salzwasser der Krabbenzucht unfruchtbar oder das Vieh krank wurde. Die Artenvielfalt der Region verringerte sich. Heute berichten FischerInnen von einem Rückgang der Fangquoten um 80 Prozent. Vögel verloren ihre Brutplätze. änder sehen sich angesichts ihrer Lebensumstände gezwungen zu migrieren. Wir fordern ein Grundrecht der globalen Bewegungsfreiheit und die gleichen Rechte für alle überall. Diese Forderung ergibt sich aus dem Grundrecht auf Selbstbestimmung eines jeden. Sie ergibt sich aber auch aus der Verantwortung, die Industriestaaten, die heute Migration nur sehr selektiv zulassen, für die schlechte Situation vieler Länder dieser Welt tragen.
Unsere Weltwirtschaft…
Unser Weltwirtschaftssystem benötigt ständiges Wachstum, um einer Minderheit der Bevölkerung viel Wohlstand zu gewährleisten. Dies geschah immer und geschieht noch heute auf Kosten der Mehrheit der Menschen dieser Welt. Die kapitalistische Ideologie besagt zwar populistisch, dass der Reichtum einer Minderheit immer den Wohlstand aller nach sich zieht.
Dies geschieht jedoch nicht. Das System ist seinem Anspruch nicht gerecht geworden.
Damals…
Früher gab es Kolonialismus. Im 19. Jahrhundert vergrößerten frühkapitalistische Kolonialmächte, wie vor allem Großbritannien, Frankreich oder auch die USA, ihre Produktivität und ihren Wohlstand, indem sie ferne Märkte erschlossen. Sie beuteten die EinwohnerInnen der kolonialisierten Staaten und ihre natürlichen Ressourcen systematisch aus. Die rasche Industrialisierung und technische Fortentwicklung der heutigen Industriestaaten geschah auf Basis dieser Ausbeutung.
…und heute
Wir leben im Zeitalter der neoliberalen Globalisierung1. Die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen haben andere Formen angenommen, reproduzieren aber noch imme eine Umverteilung von den armen zu den reichen Ländern. Wichtige Instrumente des neoliberalen Weltwirtschaftssystems sind der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation (WTO).
IWF und Weltbank vergeben Kredite an Entwicklungsländer, wenn sich diese bereit erklären Strukturanpassungsprogramme durchzuführen. Durch die Abkommen der WTO verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur Liberalisierung2 des Warenverkehrs und der Dienstleistungen, also auch öffentlicher Dienstleistungen wie Wasser, Gesundheit oder Bildung. Auch Kapital- und Finanzmärkte stehen seit langem auf der Liberalisierungsagenda.
Die Auswirkungen…
Die Hauptakteure und –profiteure dieses Prozesses sind große Unternehmen und reiche Industriestaaten wie die USA, die Staaten der EU und Japan. Das System hat den EinwohnerInnen des Nordens materiellen Wohlstand gebracht. Uns muss klar sein, dass dieser Wohlstand nur durch die Ausbeutung der Menschen anderer Länder und der Umwelt erreicht wurde und aufrechterhalten wird. Zahlen und Fakten zeigen, dass die soziale Kluft sowohl zwischen Nord und Süd als auch Arm und Reich größer wird. Dies bestätigt beispielsweise der Weltsozialbericht 2005 der UNO. Die Globalisierung wird von Ungleichheit zwischen und innerhalb der Länder begleitet. Es kommt zu zunehmenden Unterschieden in Gesundheitsversorgung, Bildung und Möglichkeiten der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Mitwirkung. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass derzeit rund 80 Prozent der Ressourcen weltweit für den materiellen Wohlstand der Menschen in der industrialisierten Welt in Bewegung gesetzt werden, also für 20 Prozent der Weltbevölkerung.
IWF und Weltbank
Die Strukturanpassungsprogramme, zu denen sich Entwicklungsstaaten verpflichten, welche Kredite des IWFs und der Weltbank erhalten, schreiben oft eine Kürzung der öffentlichen Haushalte und eine Liberalisierung der Märkte dieser Staaten vor. Außerdem verpflichten sich diese Staaten dazu, keinen Einfluss auf Preise auszuüben. Mit der Kürzung der öffentlichen Haushalte soll ein „schlanker Staat“ geschaffen werden, der sich auf die wesentlichen Aufgaben begrenzt und nicht unnötig Geld ausgibt. Mit der Senkung der Ausgaben soll der Staat ein finanzielles Gleichgewicht schaffen, also nicht mehr Geld ausgeben als er zur Verfügung hat. Dies alles hört sich vernünftig an, die Konsequenzen dieser Politik sind jedoch oft verheerend für die Menschen dieser Länder. So sind in Ländern, die als Zugeständnis an den IWF ihre Gesundheitskosten gesenkt haben, einige Krankheiten wie Tuberkulose und Durchfallerkrankungen wieder aufgetaucht (Beispiel Vietnam). In einigen Ländern, in denen unter Druck von Weltbank oder IWF die Bildungsausgaben gekürzt wurden, sanken die Alphabetisierungsrate und die Anzahl der eingeschulten Kinder (Beispiel Vietnam3). Diese Daten sind jedoch nicht wichtig für die internationalen Finanzinstitutionen. Für sie ist nur wichtig, dass diese Staaten durch die Maßnahmen ihre Schulden abzahlen können und so ihre Gläubiger (die Industriestaaten) zufrieden stellen können. Mit der Liberalisierung der Märkte sollen die Staaten einen besseren Zugang zu Produkten und Dienstleistungen aus dem Ausland ermöglichen. Dies soll zur Folge haben, dass ausländische Unternehmen in den Ländern investieren können und so Arbeitsplätze und Reichtum schaffen. Was wirklich geschieht, ist, dass reiche Ländern ihre (oft subventionierten) eigenen Produkte dort billiger anbieten können. So werden örtliche Hersteller in den Ruin getrieben, weil sie ihre Produkte nicht mehr verkaufen. Dies führt zu mehr Arbeitslosigkeit und vor allem zur totalen Abhängigkeit der Wirtschaft dieser Länder. Durch die Politik von IWF und Weltbank verlieren die Staaten zum Teil ihre ohnehin nur in Ansätzen vorhandenen Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme oder ihre landwirtschaftliche Subsistenzwirtschaft. Sie haben nicht die Möglichkeit eine nationale Industrie aufzubauen. Der Schuldendienst erdrückt viele Länder. Sie sind oft völlig abhängig von ihren Gläubigern.
WTO
Was IWF und Weltbank im Rahmen von Vereinbarungen mit einzelnen Ländern erreichen, soll jetzt durch die WTO im Rahmen multilateraler Vereinbarungen global durchgesetzt werden. Im Rahmen der WTO Abkommen soll in Zukunft der gesamte Welthandel liberalisiert werden. Dies schließt den Handel mit Waren, Dienstleistungen und Agrargütern ein. Importzölle und Subventionen, die nationale Wirtschaftszweige schützen, und andere so genannte Handelshemmnisse sollen abgebaut werden, um freien Handel und gute Bedingungen für Unternehmen zu gewährleisten. Unter die Bezeichnung Handelshemmnis fallen beispielsweise Sozial- und Umweltbestimmungen, die heute Umwelt, VerbraucherInnen und ArbeiterInnen schützen. Außerdem soll das Abkommen zum Schutze geistigen Eigentums (TRIPS) global das Patentrecht regeln. Heutzutage befindet sich beispielsweise das lebensnotwendige Wasser im Visier der Konzerne und der WTO. Im Rahmen des GATS Abkommens der WTO sollen in Zukunft global Dienstleistungsmärkte liberalisiert werden. Dies schließt heute öffentliche Dienstleistungen wie den Wasserbereich, aber auch Bildung und Gesundheitsversorgung mit ein. Unter Mittäterschaft von IWF und Weltbank wurden bereits einige Länder zur Privatisierung ihrer Wasserdienstleistungen gezwungen. Zum Teil hatte dies schlimme Konsequenzen. Das Wasser verteuerte sich, die Versorgung der armen Teile der Bevölkerung wurde nicht immer sichergestellt. Die Europäische Union will nun ihren eigenen Wassersektor nicht liberalisieren, verlangt aber von 72 Entwicklungsländern die Liberalisierung der Wasserversorgung. Das TRIPS Abkommen der WTO ist der Versuch, in Zukunft ein universelles Patentrecht einzuführen. So sollen Unternehmen, die viel Geld in Forschung und Entwicklung z.B. neuer Medikamente investiert haben und die Früchte ihrer Forschung vermarkten wollen, geschützt werden. Kein anderer soll von den Ergebnissen dieser Forschungsanstrengungen profitieren und ähnliche Medikamente herstellen dürfen, ohne eine Gebühr zu zahlen. Die Konsequenzen, die ein solches Abkommen beispielsweise haben kann, werden durch das Beispiel Generika gegen AIDS verdeutlicht. Einige wichtige Pharmakonzerne (z.B. Bayer) haben Medikamente patentiert, die sehr hilfreich gegen AIDS sein können. Sie wollten diese Medikamente für einen sehr hohen Preis verkaufen, um ihre Forschungsanstrengungen mit entsprechenden Gewinnen belohnt zu sehen. So konnten sich jedoch nur sehr reiche AIDS Kranke diese Medikamente leisten. Einige Entwicklungsländer wie Südafrika fingen daraufhin an, Medikamente herzustellen oder zu importieren, die eine ähnliche Wirkung haben, aber viel billiger sind (so genannte Generika), um gegen die AIDS Epidemie zu kämpfen. Daraufhin wurde Südafrika von 50 Konzernen wegen Verstoßes gegen das Patentrecht vor einem nationalen Gericht verklagt. Träte das TRIPS Abkommen in Kraft, könnte ein Land wie Südafrika wegen der Herstellung und des Imports von Generika gegen AIDS auch vor einem WTO Schiedsgericht verklagt werden.
Die Folge dieser entwicklungsfeindlichen Politik der WTO wäre eine dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen Umstände der Menschen, besonders in den Ländern des Südens.4
Finanz- und Kapitalmärkte
SpekulantInnen an den liberalisierten Finanz- und Kapitalmärkten schafften es, ganze Volkswirtschaften zugrunde zu richten. So geschehen während der Asienkrise 1997. Als asiatische Tigerstaaten wie Indonesien, Thailand, Malaysia und die Philippinen sich überzeugen ließen, ihre Finanzmärkte für ausländische InvestorInnen zu öffnen, obwohl sie wegen ihrer hohen Sparquoten nicht darauf angewiesen waren, floss ausländisches Kapital in Strömen in diese Länder. Effekt der Liberalisierung sollte sein, die Wirtschaft zu mehr Wachstum zu führen. Was sie tatsächlich brachte, wurde eine der größten Finanzkrisen der Geschichte, die 1997 in Thailand anfing, sich auf Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Südkorea verbreitete, 1998 Russland erfasste und dann Brasilien und Mexiko erreichte. Für die Geldmassen gab es keine wirkliche Anwendung und, wo investiert wurde, bildeten sich Überkapazitäten oder, wie in Thailand, eine Immobilienblase. Als die Situation instabil wurde, wurden die AnlegerInnen nervös und zogen Kapital aus den Märkten. Spekulation verschärfte die Situation. Der Bath – die thailändische Währung- geriet unter Druck und der Wechselkurs wurde freigegeben. Als Folge von Währungsverfall, Börsencrash und Rezession in der ganzen Region wurden Millionen von Menschen in die Armut entlassen.5 Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte gibt AnlegerInnen die Freiheit, ihr Geld jederzeit in ein Land einzusetzen und zurückzuziehen. Kapitalverkehrskontrollen, die das Ziel haben, Finanzmärkte zu gestalten und die Wirtschaft eines Landes aufrecht zu erhalten, werden seit Jahren weltweit abgeschafft. Gerade in den ärmeren Ländern hat diese Politik vernichtende Konsequenzen, die dazu beitragen, dass die Menschen migrieren müssen.
Kriege und andere bewaffnete Konflikte
Kriege und andere bewaffnete Konflikte haben vielfältige Gründe. Oft ist die Situation komplex. In vielen Fällen spielen wirtschaftliche Gründe eine wichtige Rolle. Reiche Staaten sind auf die Erschließung neuer Märkte und Rohstoffquellen angewiesen. Wenn dies nicht mit friedlichen Mitteln möglich ist, wird auf das Mittel Krieg zurückgegriffen. Unter diesem Aspekt ist beispielsweise der Krieg der USA gegen den Irak 2003 zu sehen. Heute investieren große transnationale Unternehmen im Irak, vor allem in den Ölsektor. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender wirtschaftlichter Faktor ist der Waffenhandel, durch den oftmals kriegerische Auseinandersetzungen geschürt werden. Bestrebungen von Menschenrechtsgruppen, Abkommen zur Begrenzung des Waffenhandels und der Verbreitung von Landminen zu erwirken, scheitern am Widerstand der Waffen produzierenden Länder. Deutschland steht an dritter Stelle.6 Durch den Handel mit Diamanten oder anderen Rohstoffen werden Waffen für Auseinandersetzungen in Bürgerkriegsgebieten bezahlt.
Auch der Handel mit Folterwerkzeugen ist ein weltweiter Wachstumsmarkt. In Deutschland werden Elektroschockwaffen und Fesselwerkzeuge verkauft. Nachweislich wurden in Argentinien, Brasilien und Saudi-Arabien Menschen mit Elektroschockwaffen aus Deutschland gefoltert. 7 Eine aussichtslose und instabile Wirtschaftssituation, unter der heute viele Staaten leiden, bildet einen Nährboden für Unordnung, Bürgerkriege und Terror. In Lateinamerika lassen sich Beispiele finden, wie soziale Ungleichheit und Armut dazu geführt haben, dass sich bewaffnete Gruppen bildeten. Die Lage eskaliert oft und es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die viele Tote, Verletzte und Flüchtlinge zur Folge haben.
Umweltzerstörung
Heute werden in verstärktem Maße die Lebensgrundlagen vieler Menschen durch Umweltveränderungen und -katastrophen zerstört. Unter den negativen Folgen des Klimawandels haben derzeit (noch) überwiegend Menschen aus armen Ländern zu leiden. So treffen extreme Dürreperioden oder starke Überschwemmungen besonders Länder des Südens, welche sich oft entsprechende Vorsorgemaßnahmen nicht leisten können oder wollen. Ein anderes Beispiel für die Zerstörung der Lebensgrundlagen vieler Menschen ist die Förderung von Erdöl oder der Abbau von Gold. Unternehmen aus Industriestaaten machen ein großes Geschäft, die EinwohnerInnen des Nordens profitieren, doch auf die Menschen und die Umwelt der jeweiligen Länder wird keine Rücksicht genommen. Ein Beispiel hierfür ist Ghana, das seit einiger Zeit einen neuen Goldboom erlebt. Mittlerweile gibt es 14 Goldminen. Die Projekte werden teilweise durch die Weltbank oder die Deutsche Entwicklungsgesellschaft gefördert. Durch den Einsatz von Chemikalien wie Zyanid werden die Felder und das Wasser der Menschen dort vergiftet. Sie verlieren ihre Nahrungs- und Existenzgrundlagen.8
Was hat das mit Migration zu tun?
Vielfach hat Migration wirtschaftliche Ursachen. Der Weltbevölkerungsbericht der UNO von 1993, der Migration als Schwerpunktthema behandelte, betonte, dass die Suche nach Arbeit die wichtigste Schubkraft für Migration bildet. Die Leute migrieren also in der Regel nicht, um mehr Wohlstand zu genießen, sondern weil sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Sie verlassen ihre Heimat, Familie und FreundInnen, um anderswo ein besseres Leben zu führen, da dies oft in ihrer Heimat nicht möglich ist. Oft sind die Menschen, die es schaffen, ins Ausland zu gelangen, ein wichtiger Rückhalt für die Zurückgebliebenen, die von den regelmäßigen Überweisungen aus dem Ausland leben. Ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass sich Menschen entschließen oder gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, sind Kriege und andere bewaffnete Konflikte. In vielen wirtschaftlich und politisch instabilen Ländern geschehen tagtäglich Menschenrechtsverletzungen. Die Sorge um das tägliche Überleben und der Wunsch nach einem Alltag ohne Gewalt veranlasst dort viele Menschen zu fliehen. Ein Großteil der Flüchtlinge aus Entwicklungsländern weltweit sind Binnenflüchtlinge, also Menschen, die innerhalb ihres Heimatstaates den Aufenthaltsort wechselten, oder Menschen, die in einem Nachbarland Unterschlupf finden. Ein geringerer Anteil, meist Menschen mit einem gewissen Bildungsniveau und gewissen finanziellen Möglichkeiten, treten die Reise in ein reiches Industrieland an. Die Gründe dieser Menschen, die ihre Heimat verlassen, um anderswo ein neues Leben zu beginnen, sind vielfältig und legitim. In vielen Fällen trägt der Westen Mitschuld an den Verhältnissen, denen sie ausgesetzt sind, und die sie dazu bewegen zu migrieren.
Migration und Entwicklung
In der im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniumserklärung setzten sich die Vereinten Nationen unter anderem zum Ziel, extreme Armut und extremen Hunger zu beseitigen, die Kindersterblichkeit zu verringern und allen Kindern eine Grundschulausbildung zu ermöglichen. Bis 2015 soll die Zahl der Menschen, die weniger als einen Dollar am Tag verdienen, halbiert werden. Millionen von Menschen aus den ärmeren Regionen der Welt haben aus der Not heraus entschieden, dass sie nicht so lange warten können. Sehr viele von ihnen migrieren in die Industrieländer, arbeiten dort – legal oder illegal- und schicken einen Teil des verdienten Geldes nach Hause. Auf diese Weise bahnt sich eine andere Art der Hilfe ihren Weg: Die Rücküberweisungen in Höhe von geschätzten 100 Milliarden Dollar jährlich übertreffen die gesamte weltweite Entwicklungshilfe. 9 Die gängige Meinung (vom Neoliberalismus gepflegt und gecheckt) ist, dass Wirtschaftswachstum zu Entwicklung führt. Tatsächlich findet das Gegenteil statt, nämlich eine krasse Abkopplung von Wachstum und Entwicklung. Ein Beispiel hierfür sind erdölexportierende, unterentwickelte Länder. Erdölexporte bringen zwar nötige Devisen ins Land, diese werden aber nicht für die Bekämpfung der Armut verwendet, sondern z. B. für die Zahlung der Auslandsschulden oder für Investitionen in die Wirtschaft, die aufgrund von Produktivitätssteigerungen nicht die nötigen Arbeitsplätze schaffen. Die Rücküberweisungen von MigrantInnen dagegen setzen dort an, wo die Regierungen versagen. Sie erreichen direkt die armen Menschen und Gemeinden und erhöhen bedeutend ihr Einkommen. Eine Umverteilung von den reichen zu den armen Ländern findet so statt und verhindert, dass Familien und ganze Dörfer in die absolute Armut rutschen. Ganze Wirtschaften in Entwicklungsländern werden von Rücküberweisungen gehalten. Rücküberweisungen stellen einen stetigen Mittelzufluss dar, dem Wirtschaftskrisen bis jetzt nichts anhaben konnten. In den Jahren 2001 und 2002 nach dem Platzen der Aktienblase stieg in Amerika die Arbeitslosigkeit. Bei den in Amerika arbeitenden SüdamerikanerInnen von 6,2 Prozent auf 8,2 Prozent. Trotzdem erhöhten sich die Rücküberweisungen um 18 Prozent. Unter nochmals erschwerten Bedingungen reagieren diese Menschen mit mehr Verzicht für sich, um ihren Leuten zu helfen. Migration als besondere Form der Mobilität stellt ein Urrecht aller Menschen dar. Migration heute ist aber auch ein Zeichen dafür, dass die Menschen unter der wirtschaftlichen Globalisierung leiden. Und die Rücküberweisungen von MigrantInnen sind ein Akt der Solidarität mit den Leuten, die sie zurückgelassen haben.10
Beispiele
Nun folgen einige Beispiele, anhand derer gezeigt werden soll, wie sich neoliberale wirtschaftliche Interventionen auf die Beispielländer, ihre EinwohnerInnen und Umwelt ausgewirkt haben. Die Darstellungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Situation der meisten Staaten ist sehr komplex, und wirtschaftliche Interventionen sind nicht der einzige Grund für ihre Situation. Vielfach spielen auch Misswirtschaft, Bürgerkriege oder Korruption eine wichtige Rolle.
Beispiel El Salvador
Das kleine mittelamerikanische Land El Salvador hat etwa 6,7 Millionen EinwohnerInnen. 36 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Wichtigste Wirtschaftszweige sind der Kaffeeanbau und die Maquila Industrie (Billigproduktionsfabriken in Freihandelszonen). Anfang der 90er Jahre fing El Salvador unter anderem auf Empfehlung der Weltbank an, seine Handelsbeschränkungen und Regulierungen im Agrarsektor abzubauen. Dies hatte zur Konsequenz, dass das ehemalige Agrarexportland inzwischen mehr als den doppelten Wert an landwirtschaftlichen Produkten einführt, den es selbst ausführt. Verschiedene Studien stellen einen direkten Zusammenhang zwischen Migration, Familienrücküberweisungen und dem Rückgang landwirtschaftlicher Produktion in El Salvador fest. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung (2,3 Mio.) lebt und arbeitet in den USA. Jährlich migrieren 720 000 Menschen, meist junge Männer mit Schulabschluss. Sieben von zehn Familien erhalten finanzielle Unterstützung eines Verwandten, der in die USA ausgewandert ist. Die Rücküberweisungen von Januar bis Mai 2005 betrugen schätzungsweise 472 Millionen Dollar. Insgesamt stellen sie einen Anteil von 14 Prozent des BIP, mehr als die zwei wichtigsten Einnahmequellen Kaffee und Maquilas11 Dieses Beispiel zeigt, welche Ausmaße Migration annehmen kann.
Beispiel Ecuador
Seit Ende der 90er Jahre fliehen die Menschen aus Ecuador. Das Land hat 13 Millionen EinwohnerInnen. Etwa drei Millionen tauchen nicht in der Statistik auf, weil sie ins Ausland emigriert sind. Die vom IWF und Weltbank verordnete Politik der Öffnung der Wirtschaft und Privatisierung führte in den 90 er Jahren zu immer mehr Armut. Die seit 1997 andauernde Krise erreichte 1999 einen Höhepunkt, als LehrerInnen, Polizei, Krankenpersonal und Soldaten mehrere Monate kein Gehalt bekamen, damit der ecuadorianische Staat seine öffentlichen Ausgaben senken und so den Schuldendienst bedienen konnte. Im Jahr 2002 und auf Anordnung des IWF sollten 80 Prozent der Einnahmen aus den Ölexporten Ecuadors für den Schuldendienst verwendet werden. Dass Präsident Noboa „nur“ 70 Prozent akzeptierte, sorgte für heftige Proteste seitens des IWF, dessen Direktor damals der jetzige deutsche Bundespräsident Horst Köhler war. Für ein Visum und die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten, standen die Menschen Schlange vor den Botschaften, besonders vor der spanischen. Allein die in Spanien lebenden EcuadorianerInnen überweisen jährlich etwa 500 Millionen Dollar an ihre Familien in Ecuador.
Beispiel
Argentinien Der stark verschuldete einstige Musterschüler des IWF Argentinien erlitt Ende 2001 einen wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch. Das Land musste die Zahlungen einstellen und hatte innerhalb von 14 Tagen vier verschiedene Präsidenten. Die Krise hatte fatale Auswirkungen für einen Großteil der Bevölkerung. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über 22 Prozent. Heute ist jedes fünfte Kind unterernährt und jeder zweite Mensch lebt unter der offiziellen Armutsgrenze. Das Fundament für die heutige Krise des Landes wurde schon während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 gelegt. Unter Mitwirkung des IWF wurde eine Politik der Weltmarktintegration betrieben, was eiserne Sparpolitik und Liberalisierung der nationalen Finanzsysteme bedeutete. Die Verschuldung Argentiniens stieg. Das Geld wurde jedoch nicht produktiv verwendet, sondern diente der Bereicherung einiger weniger. Auch nach dem Ende der Militärdiktatur wurde das Land einer radikalen Schocktherapie unterzogen, die unter Anleitung des IWF als Gegenleistung für immer neue Kredite durchgeführt wurde. Ein Großteil der Kredite wurde zur Tilgung der Altlasten verwendet. Im Zuge der Strukturanpassung wurden die Märkte liberalisiert und dereguliert, staatliche Betriebe und die öffentliche Daseinsvorsorge wurden privatisiert und die argentinische Währung Peso wurde an den US Dollar gekoppelt. Außerdem wurde eine strenge Sparpolitik verordnet. Die Verschuldung stieg bis Dezember 2000 auf 140 Mrd. US Dollar. So hat die Politik des IWF in bedeutendem Umfang dazu beigetragen, dass das Land im Dezember 2001 einen wirtschaftlichen und politischen Kollaps erlitt.12 Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch setzte eine einmalige Auswanderungswelle ein. In zweieinhalb Jahren verließen laut Angaben der Dirección Nacional de Migraciones 255000 ArgentinierInnen das Land, vor allem in Richtung Spanien, Italien und USA. Nie zuvor verließen derart viele Menschen das Land, nicht einmal während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Die schlechte wirtschaftliche Lage und hohe Arbeitslosigkeit, auch unter AkademikerInnen, veranlasste gerade die Mittelschichten, Argentinien zu verlassen. Schätzungen nehmen an, dass etwa 40 Prozent der MigrantInnen einen Hochschulabschluss haben. Diese Menschen fehlen heute beim Wiederaufbau des Landes. 13 Dieses Beispiel zeigt, wie neoliberale Maßnahmen dazu geführt haben, dass viele EinwohnerInnen des einstigen Einwanderungslandes heute auswandern, um anderswo Arbeit und ein besseres Leben zu suchen.
Beispiel Bangladesch
angladesch ist ein weiterer Musterschüler der neoliberalen Institutionen. Schon in den 70er Jahren wurde das erste „Hilfspaket“ mit Strukturanpassung des IWF geschnürt. Das Land hat 144 Millionen EinwohnerInnen, die zu zwei Dritteln in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Die Arbeitslosen- und Unterbeschäftigtenquote beträgt 40 Prozent und 45 Prozent der Bevölkerung lebt unter der offiziellen Armutsgrenze.
Ein wichtiger Wirtschaftszweig Bangladeschs ist die Bekleidungsindustrie, auf die etwa drei Viertel der Exporte entfallen. Die Textilfabriken befinden sich in so genannten Freihandelszonen. Dort kann ohne Steuerabgaben und unter Umgehung jeglicher ArbeiterInnenrechte, Sozial- und Umweltstandards produziert werden. Die zwei Millionen meist weiblichen Beschäftigten arbeiten unter unwürdigen Bedingungen.
Ein anderes Exportprodukt Bangladeschs sind Krabben. Bangladesch ist der fünftgrößte Erzeuger der Welt. Bis heute wurden etwa 190 000 Hektar Mangroven und fruchtbares Land in Wasseranbaubecken umgewandelt. Fast die gesamte Produktion wird in die Länder des Nordens exportiert. Die Becken werden sowohl von der Weltbank als auch von der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Die Krabbenzucht hat dazu geführt, dass viele KleinbäuerInnen ihr Land verloren haben. Einige wurden vertrieben, andere mussten gehen, da das Land durch das Salzwasser der Krabbenzucht unfruchtbar oder das Vieh krank wurde. Die Artenvielfalt der Region verringerte sich. Heute berichten FischerInnen von einem Rückgang der Fangquoten um 80 Prozent. Vögel verloren ihre Brutplätze.
Eine weitere ökologische Gefahr entstand durch die Abholzung des Mangrovenwaldes, der früher einen Puffer zwischen Meer und Mensch darstellte. Eine Studie der Environmental Justice Foundation kommt zu dem Schluss, dass der Tsunami, der 1991 140000 Menschen das Leben nahm, weitaus weniger schlimme Konsequenzen gehabt hätte, wenn die Mangrovenwälder nicht abgeholzt worden wären.
Bangladesch ist ein armes Land mit einer hohen Arbeitslosenquote. Die Politik der Handelsliberalisierung und die Kredite der internationalen Finanzinstitutionen haben nicht zu mehr Wohlstand geführt. Im Gegenteil. Viele Menschen verloren ihre Existenzgrundlage und das ökologische Gleichgewicht wurde zerstört. 14
Die desolate Situation des Landes hat dazu geführt, dass sich viele EinwohnerInnen entschlossen, Bangladesch zu verlassen, um anderswo Arbeit und bessere Lebensbedingungen zu suchen. Zwischen 1996 und 2002 verließen nach offiziellen Angaben 3,24 Millionen Menschen das Land. Diese Zahl schließt diejenigen, die dies auf illegalen Wegen taten, nicht ein. Rücküberweisungen aus dem Ausland stellen heute eine wichtige Einkommensquelle für viele Familien dar. So wurden zwischen 1996 und 2002 allein auf offiziellen Wegen 23,7 Mrd. US Dollar überwiesen.15
Beispiel Somalia
Somalia kam im Jahre 1993 in die Schlagzeilen, als das US Militär unter Schirmherrschaft der UNO intervenierte. Ziel war es, der hungernden Bevölkerung des vom Bürgerkrieg gebeutelten Landes zu Hilfe zu kommen. Noch heute befindet sich das Land in einer instabilen und schwierigen Situation. Gemeinhin wird übersehen, welche Verantwortung internationale Kreditgeber für die desolate Lage des Landes tragen.
Bis in die 70er Jahre konnte sich Somalia durch eine ländliche Tauschwirtschaft von HirtennomadInnen und KleinbäuerInnen weitestgehend selbst versorgen. In den 70er Jahren führten Privatisierungen und die Ausrichtung der Landwirtschaft auf Export zu einer Krise.
Die Strukturanpassungsmaßnahmen, die der IWF Anfang der 80er Jahre forderte, bewirkten eine Zerstörung des fragilen Gleichgewichts von nomadischer Vieh- und sesshafter Ackerbauwirtschaft. Strenge Sparmaßnahmen, die Öffnung der Märkte und eine Abwertung der nationalen Währung führten zu einer Verarmung der Stadtbevölkerung und der bäuerlichen Gemeinden und zum Zusammenbruch der Viehwirtschaft. Gesundheits- und Erziehungsprogramme brachen zusammen. In Folge der Öffnung des Getreidemarktes wurde beispielsweise der Markt mit billigen „Nahrungsmittelhilfen“ aus dem Ausland überschwemmt. KleinbäuerInnen konnten mit den Preisen nicht konkurrieren und verloren ihre Existenzgrundlage. Dies zeigt, dass Hunger im späten 20. Jahrhundert keine Konsequenz von Nahrungsmittelknappheit ist, sondern auch durch ein Überangebot an Getreide entstehen kann.16 Die Wirtschaftsreformen leisteten ihren Beitrag zur Situation des Landes. Zusätzlich litt das Land seit den 80er Jahren unter einem Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Clans. Im Jahre 1991 brach die Regierung von General Siad Barre zusammen. Im Jahre 1993 verzeichnete man 860 000 somalische Flüchtlinge. Die meisten flohen in andere afrikanische Staaten. So nahm Äthiopien, wo zur selben Zeit sieben Millionen Menschen von Nahrungsmittelhilfe abhängig waren, von 1988 bis 1991 520 000 Menschen aus Somalia auf.17
Beispiel Jugoslawien
Für den Bürgerkrieg auf dem Balkan Anfang der 90er Jahre werden in der Öffentlichkeit aggressiver Nationalismus und ethnische und religiöse Spannungen verantwortlich gemacht. Die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe bleiben vielfach unbeleuchtet. Der blockfreie, sozialistische Vielvölkerstaat Jugoslawien konnte bis etwa 1980 durchaus Erfolge in seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik vorweisen. Das Land hatte eine funktionierende Industrie und einen Sozialstaat, der den Menschen einen gewissen Lebensstandard sicherte. 1980 begannen die Gläubiger des damaligen Jugoslawiens Wirtschaftsreformen zu erzwingen. Die Lage verschlechterte sich und das Land geriet in eine Wirtschaftskrise. Die Staatsverschuldung stieg. Im Zuge der IWF Maßnahmen wurde der Sozialstaat abgebaut, die Preise und die Arbeitslosigkeit stiegen. Nach und nach gingen immer mehr von ArbeiterInnen selbst verwaltete Betriebe in Kollektivbesitz bankrott. 1990 wurden die Zahlungen der Bundesregierung an die Teilrepubliken eingefroren, um Auslandschulden bedienen zu können. Die föderalen Strukturen des Landes wurden gelähmt. Dies und die schwierige wirtschaftliche Lage des Landes führten dazu, dass separatistische Tendenzen und ethnische Spannungen verstärkt auftraten. Im Jahre 1991 erklärten Kroatien und Slowenien ihre Unabhängigkeit. Ein Bürgerkrieg zwischen den Teilrepubliken brach aus.18 Diese Hintergründe werden vielfach nicht erwähnt, wenn es um den Balkanbürgerkrieg geht. Natürlich haben Nationalismus und ethnische Konflikte eine Rolle im Krieg gespielt, jedoch ist dies nur die halbe Wahrheit. Gerade die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die die Situation vieler Menschen drastisch verschlechterten, tragen Verantwortung für das, was geschah. In Folge des Bürgerkrieges auf dem Balkan flohen tausende Menschen, viele von ihnen nach Deutschland. Im Jahre 1992 beispielsweise wurden 26 Prozent (etwa 110 000) derAsylanträge, die in Deutschland gestellt wurden, von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien gestellt.19 Dieses Beispiel zeigt, wie die neoliberale Wirtschaftspolitik durch Strukturanpassung ein Land in den wirtschaftlichen Ruin und dann in einen Bürgerkrieg mit vielen Flüchtlingen getrieben hat.
Migration in Europa
Die Schwierigkeiten, mit denen sich MigrantInnen hier in Europa konfrontiert sehen, sind gewaltig. Migration in die EU ist legal möglich, jedoch nur sehr selektiv und an wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet. Das grundlegende Menschenrecht auf Asyl für politisch Verfolgte wurde weitgehend ausgehöhlt. Nur wenigen Flüchtlingen wird Asyl gewährt. So stellten im Jahre 2004 knapp 62000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag. Nur 960, d.h. 1,5 Prozent von ihnen wurde Asyl gewährt. Im Jahre 1991 betrug die Anerkennungsrate noch 6,9 Prozent.20 Menschen werden in instabile Länder abgeschoben, in denen sie Unsicherheit und Gewalt erwartet. So werden beispielsweise Menschen in den Irak oder nach Afghanistan abgeschoben. Die meisten Flüchtlinge, seien es politische, wirtschaftliche oder sonstige, haben keine legale Möglichkeit sich in der EU aufzuhalten. Diejenigen, die es trotzdem schaffen, hierher zu kommen, führen ein Leben ohne Rechte. Sie sind Willkür und der ständigen Angst um ihre Existenz ausgesetzt. Die europäische Migrationspolitik ist menschenverachtend. Menschenrechte, wie das Recht auf Asyl oder das Recht auf Freizügigkeit und Selbstbestimmung werden mit Füßen getreten. Menschen wird aufgrund ihrer Herkunft die Chance auf ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben verwehrt. Das ist Rassismus. Ein Großteil der europäischen Bevölkerung scheint es für selbstverständlich und richtig zu halten, dass Landesgrenzen für viele Menschen bestimmter Länder geschlossen bleiben oder diejenigen, die legal oder illegal ins Land kommen, nicht die gleichen Rechte wie europäische StaatsbürgerInnen haben. Es wird akzeptiert oder sogar gefordert, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft nicht die gleichen Chancen bekommen. Auch das ist Rassismus.
Migration als soziale Bewegung
Migration ist als soziale Bewegung zu sehen. MigrantInnen sind oft Menschen, die gegen das globale Wohlstandsgefälle ihre Heimatländer verlassen, um sich auf die Suche nach einem besseren Leben zu begeben. Sie fordern eine Teilhabe am Wohlstand und ein Leben in Würde und kämpfen so gegen globale Ungerechtigkeit. Durch ein Leben in der „Illegalität“ werden Regeln und Strukturen unserer Gesellschaft in Frage gestellt. Dies ist, ob es bewusst oder unbewusst geschieht, eine Form von Widerstand. Oft gelingt es MigrantInnen auch, sich Rechte zu erkämpfen, die ihnen in erster Instanz verwehrt wurden. So geschehen in Spanien, wo vor kurzem 700 000 ArbeiterInnen ohne Papiere und ihren 400 000 Angehörigen eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gewährt wurde.
Wir fordern…
…eine gerechte Weltwirtschaftsordnung
Wir setzen uns für eine wirtschaftlich, sozial und ökologisch gerechte Weltwirtschaftsordnung ein, die es Menschen überall ermöglicht, ein Leben in Würde zu führen. Wir fordern nachhaltige Entwicklung und fairen Handel, der sich an den Bedürfnissen aller Menschen und nicht einiger weniger orientiert.
…offene Grenzen, keine Abschiebungen, Papiere für alle
Wir fordern globale Freizügigkeit für Personen mit globalem Niederlassungsrecht für Personen und die gleichen Rechte für alle unabhängig von der Herkunft, Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit. Wir setzen uns für eine solidarische und freie Gesellschaft ein, in der jeder ein selbstbestimmtes, sicheres und gleichberechtigtes Leben führen kann. Wo Menschen leben, müssen sie Rechte haben, und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Wir fordern für alle politische Rechte, wie Wahlrecht, Versammlungsfreiheit und Freizügigkeit und soziale Rechte wie ein Grundeinkommen, der gleiche Zugang zu Arbeitsplätzen, zu Bildung und guten Wohnungen.
Wir lehnen grundsätzlich jegliche Art von Abschiebungen ab.
„Ihr sollt wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“ (Elie Wiesel)
Die AutorInnen
Wir, die bundesweite Arbeitsgruppe Migration des globalisierungskritischen Netzwerks Attac, beschäftigen uns mit den Zusammenhängen zwischen neoliberaler Globalisierung und Migration. Wir bearbeiten unterschiedliche Themenbereiche rund um das Thema Migration. Wir kämpfen gegen Rassismus, für inter- oder besser transnationale Solidarität und eine rechtliche und soziale Gleichstellung aller Menschen dieser Erde.
Weitere Informationen unter www.attac,de/migration oder www.attac.de Kontakt: migrationag@web.de
V.i.S.d.P. Inigo Valdenebro
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